Autismus: Die „Stille Stunde“ in Supermärkten für Menschen mit Behinderung

In der Schweiz gehört „die stille Stunde“ schon zum Standard. In meiner Stadt gibt es nicht einen Supermarkt, der diese eingeführt hat. Und allgemein ist das Angebot in Deutschland eher spärlich. Was mich interessieren würde, wie klappt es da mit der tatsächlichen Umsetzung? Denn Menschen sind ignorant, egoistisch, selbstverliebt und jucken sich einen Dreck um andere. Die eigenen Bedürfnisse werden stets über die der Anderen gestellt. Ich meine das gar nicht böse. Wir alle sind menschlich & haben so ne Ecke in uns drin. Ich schließe mich hiermit nicht aus. Und natürlich spüren wir es, wenn unser eigenes Bedürfnis behindert wird. Wir sind wilde Tiere, besonders wenn’s ums Essen geht – Stichwort: Feiertag. Die Leute rennen durch die Geschäfte, als würden sie verhungern…oder als gäbe es alles gratis. Und deshalb würde es mich interessieren, wie das mit der Umsetzung in Deutschland klappt.

Ich persönlich bin nur selten in einem Geschäft. Ich lasse meist einkaufen. Obwohl ich eigentlich gern selbst schaue. Und ich war schon Jahrelang nicht mehr allein einkaufen. Wozu auch? Von zehn Dingen auf einer Einkaufsliste habe ich am Ende vielleicht die Hälfte und bin den Rest des Tages völlig erschöpft. Durchaus bin ich auch allein lebensfähig, das gut oder schlecht sei dahingestellt. Als ich allein gewohnt habe, habe ich jedenfalls meist bei meiner Arbeit gegessen. Kühlschrank war halt chronisch leer. Und immer nur Nudeln mit nichts ist halt auch nicht so nahrhaft. Und die Googlesuche „Pfannkuchen nur mit Mehl und Wasser“ macht auf Dauer auch keinen Spaß. Naja, ich war zu der Zeit zusätzlich chronisch pleite. 😉 Dafür weiß ich, wie man mit 10 Euro für Lebensmittel den Monat überlebt.

Das ich ein Mensch mit Behinderung bin ist bekannt, für jene, die es nicht wissen, ich bin Autistin/AD(H)Slerin. Und für genau diese Menschen – genauer gesagt für Menschen mit Reizfilterschwäche – ist diese „Stille Stunde“. Auch Menschen mit Depressionen könnten dieses Konzept für sich nutzen. Menschen mit sozialer Phobie. Angststörung. Und so weiter. Die Richtung ist klar. Und bei der „Stillen Stunde“ werden ein oder zwei Tage in der Woche gewählt, in denen die Supermärkte die Reize für kurze Zeit minimieren. Das Piepen der Kasse wird leise/ausgestellt, die Neonlampen gedimmt, die Musik/Werbungsdurchsagen ausgestellt. Und auch die Menschen verhalten sich ruhig. Gut fände ich auch, wenn nur eine gewisse Anzahl von Kunden zeitgleich in das Geschäft dürfen. Oder wenn man ein Attest vom Arzt braucht, um den Zugang zu erhalten.

Denn auf einen Menschen mit Behinderung, der genau dann besser einkaufen könnte, kommen zwanzig Pissnelken, die GENAU JETZT lautstark ihre Scheiße kaufen wollen. Dieses Phänomen beobachte ich immer wieder. Dinge, die eigentlich gar nicht so wichtig sind, müssen aus Prinzip durchgesetzt werden. Nein, man kann keine halbe Stunde warten, später oder früher einkaufen. Das macht den Menschen wütend. Es wird rebelliert, weil es mal ein mal nicht um ihn geht.

Ich bin sehr neugierig. Mit der stillen Stunde sind natürlich nicht alle (mich persönlich) belastenden Reize entfernt. Die Größe des Geschäftes, die viel zu große Auswahl. Ein Putzmittel reicht nicht, nein, es müssen zwei volle Gänge sein. Zwei Sorten Nudeln genügen auch auch nicht. Es muss ein ganzer Gang sein. Die zwei Gänge voll mit Alk sind aber ok. 😉 Ich bin mit der großen Auswahl jedenfalls wahnsinnig überfordert und kaufe dann halt eher manchmal nichts. Nicht weil ich mich nicht entscheiden kann, sondern weil es einfach zu viel ist und ich den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen kann. Zusätzlich mein Endgegner: das grelle, manchmal flackernde, summende Licht. Die unzähligen Gerüche von Lebensmitteln und Menschen. Manchmal auch Parfum mit ein bisschen Mensch dran. Schrecklich. Dann bleibt hier einer stehen, da erzählen sich welche ihre Lebensgeschichten, und von der anderen Seite spricht mich plötzlich jemand an und ich kann kaum noch die Sprache verarbeiten.

Die Stille und das gedimmte Licht klingen in meinem Ohren wunderbar.

Immer mal wieder recherchiere ich in meinem Wohnort und in umliegenden Städten, weil wir dann auch für ein Paket Margarine 30 Kilometer fahren würden, haha, ob es einen Supermarkt mit der Stillen Stunde gibt. Leider nein. Und deshalb hab ich mal wieder ne neue Idee. Alle Supermärkte kontaktieren. Das werde ich in den nächsten Wochen tun. Mal schauen, ob es was bringt. 🙂 Ich kann schon sehr nervig sein. 🙂

4 Kommentare

  1. Ich würde sogar dafür zahlen, eine stille Stunde in meinem MPreis ums Eck zu bekommen. Egal, wann ich einkaufen gehe, es ist entweder brechend voll oder irgendjemand ist gerade besonders laut. Aber irgendwann muss ich einkaufen gehen. Nützt nichts.

    Hoffe, die stille Stunde wird irgendwann in Österreich eingeführt.

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