Autismus Erfahrung: Die Sprache der (meiner) Liebe

Hab gerade ein tolles Video bei einer TikTok Creatorin gesehen zum Thema Liebe bei Neurodivergenz. Sie bezog sich da auf das Buch „Fünf Sprachen der Liebe“ von Gary Chapman. Dazu würde ich gern meine eigenen Erfahrungen teilen.

1 – Lob und Anerkennung: Tatsächlich spreche ich nur selten Komplimente aus. Oft habe ich das Gefühl (nicht böse gemeint), dass sich neurotypische Menschen mit Lob und Komplimenten gegenseitig zuklatschen. Es sieht dann für mich so aus, wie Menschen mit ihren Haustieren, mit Hunden zum Beispiel reden. „Ein ganz feiner Junge bist du, ein ganz lieber Junge, hier ein Leckerchen.“ 😀 Ne, also bei mir ist das eine ganz seltene Sache. Umgekehrt fühle ich mich auch leicht verarscht, wenn ich mit Lob überhäuft werde. Es muss schon sehr abweichend toll sein, neu, über die eigentlichen Grenzen hinaus. Wenn Menschen wachsen, sich weiterentwickeln und lernen finde ich das sehr toll. Wenn jemand gekämpft hat, mutig war, sich etwas getraut hat.

So Dinge wie ein neuer Haarschnitt, ne schicke Jacke…ne, also das ist nichts Besonderes für mich. Allenfalls finde ich das scheiße, weil es eine Veränderung ist. Besonders wenn ich von dieser Veränderung nichts wusste, finde ich diese blöd. Aber auch das sage ich ehrlich, wenn ich eine Person sehr mag.

Unterm Strich ist ein Lob, ein Kompliment, das von mir kommt, etwas Besonderes finde ich. Weil ich damit nicht um mich werfe und wenn ich dann etwas hervorhebe, dann ist das auch sehr anerkennend und aufrichtig gemeint.

Wer jedoch reine Bestätigung sucht – der ist bei mir an der falschen Adresse. Da sollte also ausreichend Selbstwert vorhanden sein. Oder daran gearbeitet werden. In dem Zusammenhang – auch über einen Mangel an Selbstwert und dergleichen kann man reden. Und wenn es dahingehend Erfolge gibt, finde ich auch das sehr toll. 🙂

2 – Zweisamkeit – die Zeit für euch: So ein ständiges aufeinander hocken mag ich gar nicht. Für mich ist es eine tolle zweisame Zeit, wenn man sich zum Beispiel in der Selben Wohnung aufhält. Wenn ich weiß, dass ich gerade mein Ding mache und mein Partner seines. Wir haben beide Freude an dem was wir tun, sind irgendwie beisammen, obwohl jeder für sich ist. Ab und zu hole ich mir eine Umarmung oder mein Partner bringt mir nen Kaffee. Vielleicht schaut man zusammen einen Film, aber meist mag ich es am liebsten, wenn jeder sein Ding durchzieht. Na, ich schreibe zum Beispiel gerade und mein Partner ist im Wohnzimmer und macht irgendwas. Wahrscheinlich schaut er gerade eine neue Serie. Von der er weiß, dass ich nicht gern neue Dinge schaue, weshalb er diese allein schaut. Das ist sehr rücksichtsvoll und auch das ich mich zurückziehen kann, ist ein absolutes Zeichen der Liebe für mich als neurodivergente Person. Ja, ich fühle mich da sehr verbunden. Für neurotypische Menschen ist das meist nicht das, was man unter Zweisamkeit – Gemeinsamzeit versteht.

3 – Geschenke, die von Herzen kommen: Geschenke sind für mich völlig irrelevant. Ebenso Statussymbole, Stellung in der Gesellschaft / Hierarchien, Besitztümer, Geld, etc. Ich sah letztens ein Video, in dem eine Frau sagte, man solle sich als Frau nicht auf ein Kaffeedate einlassen. Und ich fragte mich natürlich warum. Und sie lieferte die Begründung: Weil der Typ nichts oder nicht viel in dich investieren möchte, womöglich nicht viel Geld hat. Ähm. Das war für mich sehr fragwürdig und die Männer tun mir da schon leid. Frauen scheint es oft wichtig zu sein, dass ein Mann ne gute Stellung hat, ein tolles Auto besitzt, viel Geld und Geschenke investiert. Und ich denke mir so…verdammt, ich kann doch nicht die einzige sein, die das merkwürdig findet. Oder ich bin keine richtige Frau. I don’t know.

Aber wer hat die Regel aufgestellt, dass man beim Daten viel Geld oder überhaupt Geld ausgeben muss, warum ist Geld so ein extrem wichtiges Thema? Geld beruhigt. Ich habe zum Beispiel bisher keine Schulden. Das beruhigt mich. Und ich schaue mindestens ein mal am Tag in mein Onlinebanking, was ich noch aufm Konto habe. Denn ich lebe nicht über meine Verhältnisse, aber geizig bin ich auch nicht. Wenn ich eines hasse, dann ist das ein gegenseitiges aufrechnen. Wenn ich etwas ausgebe, dann weil es verfügbar war. Dafür brauche ich kein „Danke“ oder sowas. Auch finde ich es merkwürdig mich zu bedanken, weshalb ich das auch regelmäßig vergesse. Leider wird das als unhöflich angesehen von neurotypischen Menschen. Geld ist so..naja da und dann halt weg, dann wieder da. Und so weiter.

Kleine Geschenke mag ich gern. Wenn mir jemand zeigt, dass er mich kennt. Manchmal bekomme ich so ein kleines Bällchen auf einem dieser Automaten, die im Kaufland rumstehen. Darin ist dann ein kleines Gummiteil oder so, mit dem ich rumspielen kann. Darüber freue ich mich riesig. Oder wenn man mir ein Gedicht schreibt. Oder wenn man mir zuhören möchte. Oder noch lieber – wenn man mir gegenüber offen und ehrlich ist. DAS kommt für mich von Herzen. Zeit. Akzeptanz und Toleranz. Interesse. Respekt. Dem anderen ein gutes Gefühl zu schenken, das ist ein tolles Geschenk. Der Geldwert ist völlig unerheblich.

Schenken an sich finde ich zum Beispiel eher anstrengend. Mit Menschen, die wert auf Geldwert legen. So muss ich dann wissen, was das Geschenk gekostet hat, das ich erhalten habe, damit ich ein Geschenk zurück schenken kann mit dem Selben Wert. Solche Leute kenne ich aber ganz bewusst nicht. „Von Herzen“ ist total individuell, so wie wir Menschen.

Schwer zu erklären.

4 -Hilfsbereitschaft: Menschen die ich sehr mag, helfe ich gern. Ich würde so einiges tun. Und ehrlich gesagt beschreibe ich mich selbst in dem Punkt etwas psychopathisch. Nun. Ich stelle keine Fragen, komme auch nachts und bringe gern ne Schaufel mit, falls nötig. Auch hier spielt Geld keine Rolle. Du brauchst Geld? Wenn ich es habe, gebe ich es dir. Da braucht kein Gefühl von „schuldig“ zu sein. Kein „Sie hat mir geholfen jetzt bin ich ihr was schuldig“. Nein. Wenn ich Hilfe brauche, dann bitte ich darum. Ist mir doch egal, ob ich vorher geholfen habe, damit mir die Hilfe quasi zusteht. Umgekehrt das Selbe. Wenn es mir möglich ist, dann helfe ich. Egal wann, egal was, egal wo. In Liebesdingen wird so oft aufgerechnet. Das finde ich sehr schade. Und wenn ich so denken würde, dann wäre ich einigen Menschen eine Menge schuldig. Denn ich brauche öfter mal Hilfe. Hilfe sollte nie auf Gegenleistung beruhen. Es ist für mich selbstverständlich, für Menschen die ich mag da zu sein.

Auch mache ich mir, wenn jemand ein Problem hat, direkt Gedanken bezüglich einer (langfristigen) Lösung. Ich krame mein Hirn und das halbe Internet durch, um das Problem zu lösen. Kann mich dann um Kopf und Kragen reden, Ratschläge geben, nach denen niemand gefragt hat. Oftmals finde ich auch etwas vergleichbares in meinen eigenen Erfahrungen. Dabei rede ich dann natürlich von mir, was für neurotypische Menschen oft so wirkt, als wolle ich vom Problem ablenken, lieber über mich selbst reden. Ich-bezogen sein. Das ist ganz und gar nicht so. Ein Beispiel: Wenn jemand einen Todesfall beklagt und traurig ist (mit Trauernden kann ich schlecht umgehen), aber ich versuche zu helfen, die Emotionen zu sortieren, indem ich zum Beispiel davon erzähle, wie ich mal jemanden verloren habe. Ich glaube, als der Vater meines Partners gestorben ist, habe ich von meiner toten Katze geredet.

Neurotypische Menschen schlagen vielleicht die Hände überm Kopf zusammen. Hach, das kann man nicht vergleichen. Und die verdammte Katze ist doch seit über zehn Jahren tot. Und überhaupt – es geht doch nicht um mich! Naja, aber diese Katze war mir unfassbar wichtig. Sie ist der einzige Vergleich, den ich hatte. Ich wollte meinen Partner verstehen und ihm helfen, seine Emotionen zu verarbeiten. Ich wollte, dass er sich nicht allein fühlt in seiner Trauer. Es war mein Versuch ihn wissen zu lassen, dass ich ihn verstehe. Dass seine Trauer okay ist. Das er diese zulassen kann. Und natürlich auch darüber reden kann, wenn er das möchte. Oder ich rede über positive Dinge, die den Verstorbenen betreffen. Über Erlebtes. Oder in dem Fall meines Partners auch über Eigenschaften, die er von seinem Vater hat. In dem Sinne von „da ist ganz viel von ihm in dir“.

5 – Zärtlichkeit: Das ist so ein Thema für sich. Oft mag ich es nicht, ohne Ankündigung berührt zu werden. Man sagt, dass das Meiste in einer Liebesbeziehung nonverbal ist. Und das auch nur so eine gute Beziehung, eine erfüllende Beziehung funktionieren kann. Berührung sagt viel über die Qualität einer Beziehung aus. Auch das Teilen von Berührungen in der Öffentlichkeit soll wichtig sein – immerhin steht man dann öffentlich zu der Person. Ich sehe das anders. Wenn ich das nicht möchte, oder auch mein Partner das nicht möchte, dann fühle ich mich nicht schlecht. Auch muss man nicht immer kuschelnd einschlafen. Und ich persönlich fände sogar getrennte Betten ziemlich toll. Zärtlichkeit geht bei mir mehr so in die andere Richtung. Verbale Kommunikation. Gemeinsam schweigen. Ich liebe schweigen. Auch dieses verliebt anglotzen, sich gegenseitig in die Augen schauen…kanns überhaupt nicht ab. Wenn man nicht umarmt werden möchte, nicht küssen, nicht streicheln und so weiter, dann fühlen sich neurotypische Menschen oftmals abgelehnt.

Zärtlichkeit spielt in meiner Welt keine allzu große Rolle. Zumindest nicht die körperliche. Sie besteht darin, dass ich nicht an Stellen berührt werde, wo ich es nicht mag. Lange Zeit habe ich gedacht, es sei normal, alles zulassen zu müssen. Aber ich weiß inzwischen, dass ich gar nichts muss. Und auch mein Partner muss nicht alles, was ich vielleicht möchte. Zärtlichkeit ist auch das wahren der Grenzen. Zärtlichkeit ist, wenn man offen miteinander redet. Sich öffnet. Vertraut. Und Vertrauen ist mir die wichtigste Basis, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Ohne Vertrauen ist es mir extrem unangenehm berührt zu werden. Auch das wirkt dann oftmals ablehnend. Dabei ist das eigentlich nur ein Zeichen von „Hey, ich würde gern mehr Vertrauen aufbauen“.

Zärtlichkeit ist demnach auch Ehrlichkeit.

Einige Menschen sind zu dieser Art Zärtlichkeit gar nicht mehr in der Lage. Tinderfickereien sind normal. Menschen suchen Bestätigung. Sie labern eine stinkende Gülle (Lügen), um ficken zu können. Da kommt mir mein eben gegessener Auflauf wieder hoch. Andererseits analysiert mein Hirn gern solche Leute, weil’s da so viel zu diagnostizieren gibt.

Ich würde sagen, dass Zärtlichkeit in meiner Welt einen sowohl großen, als auch einen sehr kleinen Teil ausmacht. Es kommt eben drauf an. Auf die Menschen, auf die Umgebung, auf mich. Zärtlichkeit beginnt da, wie wir jemanden behandeln. Und da kann ich sagen – es gibt eine Menge arschkalter Menschen auf dieser Welt. Und von den meisten will ich in keiner Weise berührt werden. Es gibt sogar Menschen (oder in bestimmten Momenten), die ich zwar berühren möchte, aber ich möchte nicht von ihnen berührt werden.

Abschließend lässt sich noch sagen, dass wenn ich jemanden sehr mag, dann rede ich gern über meine Spezialinteressen. Ja, manchmal ist das dann ein ewiger Monolog über klaffende Wunden, Ausscheidungen und so weiter. Oder – was sehr selten ist, mein Schreiben. Ich rede an und für sich sehr gern darüber, wenn ich denn die Person sehr mag. Oder gar zu schreiben in der Gegenwart. Das ist so ziemlich das Höchste der Gefühle, denn das mache ich üblicherweise nur allein. Sogar wenn mein Partner den Raum betritt, muss ich kurz unterbrechen, denn ich fühle mich dann in der Ausübung gestört. Auch Nachrichten auf dem Handy beantworte ich dann nicht. Das hat weniger mit Ruhe zu tun, denn die brauche ich gar nicht so sehr. Für mich ist das etwas sehr intimes und das vor anderen Menschen zu tun…nun, das ist, als würde man sich mitten im Einkaufszentrum vollständig entkleiden. Oft wirkt aber auch das desinteressiert, abweisend, ablehnend. Dabei ist es „in meiner Sprache“, ein sehr aufrichtiges Zeichen großer Gefühle. So was lässt sich nicht vortäuschen.

Ich liebe dich kann jeder sagen. Und viele sagen es vielleicht auch, wenn das denn nötig ist, um Sex zu bekommen.

Wissen zu teilen, Interessen zu auszubreiten – das ist für mich ein Zeichen von Liebe. Nicht im eigenen, sondern im Interesse der anderen Person zu handeln, ist ein Zeichen von Liebe. Hab zum Beispiel seit vielen Jahren mit jemandem kein Wort gewechselt – aus Liebe. Aber das ist eine andere Geschichte.

Aber nun, wenn man erst die gesamte autistische Sprache versteht, dann lässt sich unfassbar viel Liebe darin finden, wenn ich denn liebe. Ich würde sogar sagen, dass da so viel Liebe ist, dass sie kaum zu ertragen ist. Aber manch ein Mensch erträgt sie dann doch. 🙂

2 Kommentare

  1. Hallo, das war eine grandiose Interpretation der fünf Sprachen der Liebe und ich habe mich so oft wiedererkannt. Wäre es wohl möglich, dass ich auf Deinen Post eine Antwort in meinem Blog schreibe? Natürlich verlinke ich Dich 🙂

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