Ein Soziopath ist Liebe ist Tod

Die Sprache hat sich nicht verändert, nur der Wahrheitsgehalt schwankt zwischen dem Glauben und einer sterbenden Hoffnung. Und du, du fliegst irgendwie darüber her oder kriechst darunter durch, vielleicht stehst du auch in der Gegend herum oder machst einen entspannten Eindruck, während deine Gedanken im Lesesessel entgleisen. Aber du bist nicht verrückt, nein. Du bist nur verliebt. Und dann öffnest du dir eine Flasche Wein, weil doch immer irgendwo irgendjemand darüber predigt, dass man ausreichend trinken solle und die aufgerissene Schokoladentafel neben dir erscheint dir in diesen Zeiten wie eine geeignete Tagesmahlzeit.

Erinnern willst du dich und willst du nicht. Willst dich erinnern daran, was er dir gesagt hat, wie der Wind an diesem Tag gerochen hat, wie seine Mimik einmal die Welt umrundet hat, nur um dich zu erreichen. Jedes Wort sezierst du, jedes Küsschen-Smiley bei Nacht bringt dich ihm ein Stückchen näher. Und dann redest du von Liebe. Dabei ist ein Soziopath doch jemand, der dich nicht fühlt. Nicht deinen Schmerz, nicht deine Nähe, nicht deine Liebe, ja nicht mal deinen Hass, wenn du ihn aufbringen könntest. Und wenn er dir egal ist, dann ist da einfach nur nichts. Und das, ja, das versetzt dir dann doch wieder diesen Stich von hinten in den Rücken.

Jedes seiner gesprochenen Worte buchstabierst du dir gedanklich vor wie ein Diktat voll roter Tinte nach jeder Zeile. Schwebst noch immer hin und her, krabbelst darunter durch, betrachtest jeden Mikromillimeter von allen Seiten. Was ist Lüge, fragst du dich. Kann doch niemand so viel Lügen und ist dann jede Lüge zwangsläufig das Gegenteil der Wahrheit? Dann findet er dich nicht schön, nicht liebenswert, nicht begehrenswert, dann bist du allenfalls ein weiteres kleines Spielzeug, welches, wenn es nicht mehr wie gewünscht funktioniert, in einer dunklen Ecke langsam an Glanz verliert und verstaubt.

Dann willst du glauben und du willst nicht. Willst das Gegenteil von allem glauben, was er dir jemals gesagt hat, selbst wenn es dir weh tut, ist es doch die Wahrheit, die du liebst. Und wie kannst du ihn weiter lieben, wenn an ihm keine Wahrheit haftet. Da sitzt du also in deinem Lesesessel, schwebst über dir herum, betrachtest die halbleere Weinflasche und die angefressene Schokoladentafel. Draußen neigt sich die Sonne ihrem neuen Ende und du ersehnst den Mond, weil du weißt, dass ihr den Selben Mond sehen werdet. Wie oft hältst du dann seine Hand in den Schlaf ohne sie zu berühren? Und wie oft küsst du ihm die Stirn ohne zu wissen was er träumt? Dann vibriert dein Handy und reißt deine dämmernden Augen wieder auf. Weil die Sprache nicht verändert ist, nur dein Glaube daran wehrt sich dagegen, während dein Körper zitternd und zehrend all das unausgesprochene aufsaugt und deine Kraft samt Sonnenstrahlen schwindet.

Dann schwebst du nicht mehr, Honey, es ist dunkel und es würde niemandem auffallen, wenn du dir selbst auch ein Ende bereitest. Und damit meinst du selbstverständlich nur, dass es ihm nicht auffallen würde. Und einen Augenblick lang findest du diesen Gedanken tröstlich, weil der, der deinen Schmerz nicht spürt, deinen Schmerz auch gar nicht spüren soll. Tröstlich, weil du gar nicht willst, dass er leidet, weil er doch sich selbst spürt und du nicht weißt, was er fühlt, während er dich nicht fühlt. Dann wieder zu erschütternd, weil du selbst doch so leidest, wenn du über dir schwebst und statt dich in deinem Lesesessel zu sehen, nur noch eine verrottende Hülle siehst, die langsam mit deinem geliebten Lesesessel verschmilzt, bis die Nachbarn einen merkwürdigen Geruch im Treppenhaus melden.

Eine einsame Taube sitzt auf deiner Balkonbrüstung und sucht in den erfrorenen Pflanzen nach Brotkrumen. Ihr gurrendes Abendlied schwenkt deinen Blick gen Mond und verschwendet einen weiteren Gedanken zur Nacht. Und wieder ist das Letzte woran du vor dem Schlafen gehen denkst das, woran du gar nicht denken willst, die Sprache, die du gar nicht verstehen kannst, die Buchstaben, die seziert brach liegen und die Liebe, die eigentlich nur Schmerz ist. Weil sie doch schon morgens mit den Sonnenstrahlen deine Stirn als erstes Küssen, wie die wärmenden Lippen eines Geliebten, wie das letzte Wort, das überlebt hat und dich schweben lässt und lacht. Nacht.

Küsschen-Smiley.