Wenn mein Autismus & AD(H)S sichtbar ist. #wutausbruch

Momentan kursieren viele Videos im Netz, die Autismus und oder AD(H)S in ein witziges Licht rücken. Große Influencer machen random Tests aus dem Internet, nicht mal die doch recht umfangreichen, sondern die, die dir am Ende nach wenigen Fragen sagen, dass die ganze Welt quasi ein wenig autistisch ist und oder AD(H)S hat. Und darüber wird sich dann lustig gemacht. Hunderttausende Menschen liken diesen Scheiß und fühlen sich total cool. Ja, es ist somit cool, ein bisschen Autistisch zu sein, ein wenig AD(H)S zu haben. Aber ist es das? Und ist es wirklich so lustig, sich über eine Behinderung lustig zu machen? Sich über tatsächlich Betroffene lustig zu machen, die Tag für Tag unter dieser Behinderung leiden, bzw. unter der Umgebung leiden, die behindernd wirkt? Ist es cool in einer Gesellschaft zu leben, die sich zu Großen Teilen gedankenlos lustig macht über Menschen mit Behinderung?

Wenn meine Behinderung sichtbar ist, wenn ich also nicht oder nur wenig maskiere, dann werde ich angestarrt, wie das siebte Weltwunder. Weil ich schaukelnd, wippend oder mit einem Stofftier durch die Gegend laufe. Am liebsten mit meiner kleinen Stoffente, die ehrlich gesagt mehr Persönlichkeit hat, als ich. Ich verstelle meine Stimme, denn über dieses Stofftier kann ich besser kommunizieren. Allgemein befinden sich in meinem Bett und und in der Umgebung so viele Stofftiere, dass es eher an ein Kinderzimmer erinnert. Es beruhigt mich, meine Bezugsdinge bei mir zu tragen. Wenn ich selbst nicht oder schlecht sprechen kann, dann übernimmt dies meine Begleitperson. Das wiederum erweckt zusätzlich den Eindruck, dass ich völlig Banane wäre. Und dementsprechend werde ich behandelt.

Wenn du in dieser Gesellschaft zusätzlich zum Autismus/AD(H)S nen Migrationshintergrund hast, übergewichtig/untergewichtig bist oder eine andere Körperbehinderung hast, usw.. tja, dann kann man sagen double fuck.

Ich musste mir meinen Platz auf dem 1. Arbeitsmarkt extrem hart erkämpfen und kann jetzt 15h/w arbeiten. Allein. Nachts. Nein, ich bin nicht faul. Nein, ich habe keine Kinder. Diese und weitere Fragen beantworte ich zwangsläufig beinahe täglich. Ständig muss ich mich beweisen, muss beweisen, dass ich nicht dumm bin, muss beweisen, dass ich tatsächlich Einschränkungen habe. Und ich muss dafür einstehen, dass ich nicht darauf reduziert werde. Bedürfnisorientiert wirst du in dieser Gesellschaft nicht behandelt, wenn du eine Behinderung hast. Bestenfalls versteckst du dich – aber bitte ohne Sozialleistungen. Du bist eine Last für’s System und das wird dir ständig gezeigt. Die Suizidrate ist um ein vielfaches erhöht. Verdammt, es sterben Menschen wegen solch einer Scheiße!

Ich will’s nicht sagen, tue es aber trotzdem: Euthanasie. Kinderfachabteilung. #google

Ja, lustig. Wirklich lustig. Zu einer anderen Zeit wäre ich entweder getötet worden oder zumindest zwangssterilisiert. Was können wir heute darüber lachen. Offensichtlich. [An dieser Stelle springt mir gedanklich ne Sicherung raus und Beleidigungen stapeln sich wie die Scheiße, die verbreitet wird] Ich bin wütend, schrecklich wütend!

Zu Hause ist mein Autismus und AD(H)S sichtbar. Ich habe meine Strukturen, bin nahezu ständig damit beschäftigt Dinge zu suchen (meistens mein Handy) – in dem Zusammenhang kommt es öfter mal vor, dass mein Partner meine Nachrichten liest und beantwortet, weil ich mit dem sozialen Kram, mit Beziehungsebenen etc, komplett überfordert bin. Ich vergesse es zu trinken, manchmal tagelang, weil ich hyperfokussiert an meinen Spezialinteressen sitze. Na, hier kommt recht viel, weil eben meine Interessen im Bereich der Kunst liegen. Aber auch Humanmedizin, aber das ist gerade nicht wichtig.

Ich habe mit körperlichen Auswirkungen zu kämpfen, (& Komorbiditäten)

im Grunde mit allen üblichen Reaktionen, die durch Stress ausgelöst werden. Mein Körper steht unter Dauerstress, weil ich keinen einzigen Reiz zu keinem Zeitpunkt filtern kann. Ich brauche ständig Rückzug, wirke abwesend, abweisend, manchmal vielleicht sogar Gefühlskalt, obwohl ich so intensiv empfinde.

Ehrlichkeit wird kaum erkannt, weil die Welt so verlogen ist. Und oftmals ist Ehrlichkeit dann auch noch unhöflich oder löst sonstiges Unbehagen in anderen Menschen aus. Overloads, Shutdowns, Meltdowns. Die ständige Angst vor Ablehnung. Weil ein „anders funktionieren“ in dieser Gesellschaft gleichbedeutend ist mit „zu cringe“. Es ist, als wäre ich in einem fremden Land und verstehe von niemandem die Sprache und niemand versteht mich. In diesem Fall ist fast der ganze Planet fremd. Mein Autismus ist jedenfalls perfekt dafür, um Menschen abzuschrecken.

Es gibt so viel zu diesem Thema zu sagen und dieser Text könnte lückenhafter nicht sein. Das sind nur diese sprichwörtlichen fünf Cents. Wer sich lustig macht über Menschen mit tatsächlichen Problemen, tja, das sagt im Grunde nichts über meine Behinderung aus, aber eine ganze Menge über deren Charakter. Over and out.

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