Vielleicht will ich mir etwas ausdenken, irgendeine krasse Story, die nur rein zufällig Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen aufweist, vielleicht will ich einen Moment lang wichtig sein, wahrscheinlich will ich dich abschrecken, damit du nicht weiterliest, vielleicht will ich, dass du angewidert bist, solltest du doch weiterlesen. Vielleicht will ich aber auch nur da sein, irgendwas sein, irgendwas, egal was. Nur nicht nichts. Nur nicht jemand, der sich etwas ausdenkt, oder jemand, von dem jeder denkt, dass er frei erfunden ist. Und Ähnlichkeiten rein zufällig entstanden sind. Irgendjemand hat diese Geschichte sicher erlebt. Wer sie schreibt, ist dabei egal. Und wer sie liest, nun, ich weiß nicht. Vielleicht bist du auch nichts, so wie ich. Genauso unsichtbar, genauso irrelevant. Nur ein verpuffender Regentropfen der Weltenzeit.
Liege ich in meinem Bett? Nachts um eins und starre ich die fast dunkle Decke an, an der sich die schwachen Lichter der Straßenlaternen abzeichnen, hier und da ein vorbeifahrendes Auto, leises Rauschen und würde ich kurz die Augen schließen, könnte ich vom Strand träumen, könnte ich unter meiner Bettdecke verschwinden und mein Smartphone ausschalten. Und dann verkünde ich zuvor freudig einen bevorstehenden Urlaub, erzähle euch allen vom Sand und von der Wärme auf meiner Haut. Und dann schalte ich mein Smartphone aus, werfe einen letzten Blick an die beinahe dunkle Zimmerdecke und verschwinde unter meiner Bettdecke. Ich schließe die Augen und bin unsichtbar.
Unsichtbar für alle Menschen, für alle Spiegel, die mich nicht mehr betrachten können, weil ich ihnen so fremd geworden bin, dass jeder Blick sehnlichst Heimweh ruft. Nicht leise winselt, nein, es ruft, es schreit mir im vorbeigehen hinterher. Irgendwo zwischen dem Loslassen und den auf mich hereinbrechenden Tränen finde ich mich wieder, suchend, suchend einen Weg heraus, als würde ich rennen, schneller atmen, schwitzen aus Augen und Haut. Immerhin reichte das schon aus für eine Postkarte. Ich würde dir schreiben, wie weich doch das Wasser hier ist, süß und klar, doch wenn du mich küssen könntest, schmecktest du das Salz auf meinen Lippen und die Kälte unter meiner Bettdecke. Aufatmen kann ich, weil du viel zu weit entfernt bist und ich, ich bin im Urlaub.
Niemand will die Wahrheit auf Postkarten lesen, es genügt ein tolles Strandbild und die Worte von Wasser und weichem Sand. Ich schreibe dir also nicht, dass es pausenlos regnet, kalt ist, so kalt, dass es heute sogar kurz die Schneeflocken aus den Wolken trieb und dunkel, so dunkel, dass ich nur existiere. Ich und dieses Zimmer, aus dem ich einen Weg heraus suche, mitten in der Nacht, inmitten der Gedanken, die ich nicht mehr denken will, der Gedanken, die mich dastehen lassen, starr wie ein verlorenes Kind im Wald. Oder vielleicht wie ein Geist, der noch immer in deinen Seilen hängt.
Mit den Jahren wurde ich ein geduldiger Mensch, ein ruhiger, einer der hinnimmt, während das Blut mein Fleisch langsam garen lässt. Warten hingegen, dem Alter bin ich entwachsen. Na, immerhin sage ich mir das immer mal wieder, wenn ich mich beim warten erwische. Warten auf einen Anruf, der eigentlich gar nicht wichtig ist und mich ohnehin nie erreichen würde, weil ich mein Smartphone ausgestellt habe, warten auf die nächste Gelegenheit, die ich gar nicht ergreifen würde, warten auf etwas Neues, das ich gar nicht wissen will. Warten um des warten Willens. Warten im Urlaub oder unter der kalten Bettdecke. Warten auf einen Mann, der ganz anders riecht als du. Und hin und wieder auf den Lieferservice oder der Lieferservice wartet auf mich. Gebratenes Gemüse, das vor meiner Wohnungstür erkaltet, weil ich doch verdammt nochmal im Urlaub bin und die Klingel ausgestellt habe.
Also lasst mich, lasst mich unsichtbar, lasst mich sein, lasst mich, was ich bin. Vielleicht will ich’s mir nicht ausdenken, keine krasse Story, keine Urlaubsbilder und wahrscheinlich will ich dir auch keine Postkarte schicken. Eine Postkarte aus dem verschneiten inneren meiner Bettdecke. Mit Lügen, Sonne und Strand. Während die nackte Wahrheit aufgestanden ist, sich auf den am offenen Fenster stehenden Stuhl gesetzt hat und eine Zigarette danach raucht. Und ich, die im Bett liegt, wie immer doch einfach nur existiert / und nicht, die fast dunkle Decke anstarrt und keine Sekunde mehr allein sein kann. Immer so ganz unspektakulär irgendjemanden anstarrend mit der unterschwellig überschwappenden Sehnsucht nach dir. Und mir.
