Am 23.06.2022 lief auf RTL wieder eine Wallraff Reportage (Team Wallraff – jetzt erst recht). Da ich so gut wie nie TV schaue, ist dieses Programm komplett an mir vorbei gegangen. Jedoch habe ich am Tag darauf, also gestern, zahlreiche Reaktionen darauf gesehen. Bei tvnow kann man diese Sendung noch mal sehen, bei mir klappte dies ohne Anmeldung, jedoch mit einigen Werbepausen, die ich nutzen konnte, um mich über das Gesehene aufzuregen und oftmals auch, um zu weinen. Ich möchte diese Reportage jedem ans Herz legen, denn jeden von uns kann das in irgendeiner Art betreffen. Ob uns selbst, ob Bruder, Schwester, Oma, Opa, Mama, Papa, etc. Schaut bitte nicht weg.
Während dieser Sendung habe ich mir einige Notizen für einen Beitrag gemacht, gestern war ich jedoch zu emotional, um diesen für diesen Blog zu verfassen. Und auch heute weiß ich kaum etwas zu sagen. Und ich bin nun wirklich nicht mehr leicht zu erschüttern. Ich habe mich deshalb mehr oder weniger gegen einen Beitrag entschieden. Ich möchte stattdessen einige Fragen stellen. Fragen, die sich aus dieser Reportage ergeben, aber auch aus meinen eigenen Eindrücken, die ich im Laufe der Zeit in der Pflege erlebt oder erzählt bekommen habe. Diese beziehen sich nicht nur auf die in der Reportage genannte Altenheim-Kette. Sondern mal so ganz im Allgemeinen.
Auch möchte ich mit meinen folgenden Fragen niemanden an den Pranger stellen oder die Pflege über einen Kamm scheren. Denn sowohl in dieser Reportage, als auch die allermeisten Pflegekräfte darüber hinaus machen einen verdammt guten Job unter teils härtesten Bedingungen. Herr Lauterbach (von dem ich an und für sich relativ viel halte), sagt in diesem Zusammenhang in dieser Reportage, dass er den Pflegenotstand als solchen nicht erkennt. Na herzliche Brühwurst. Dabei sei gesagt, dass der Notstand definitiv da ist, aber noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hat. Stichwort: Demografischer Wandel / Babyboom Generation. Jene, die nun also plus minus 5-10 Jahre um die 60 Jahre jung sind: werdet nicht pflegebedürftig, denn ihr seid grob aber ehrlich gesagt am Arsch.
Hier der LINK zur Reportage!
Ich möchte noch hinzufügen, dass ich die Kommentare hier ausstelle, weil mich dieses Thema emotional sehr mitnimmt. Jedoch via. Mail einem Austausch oder Kommentaren offen gegenüber stehe. Ich habe schon einiges geschaut, reales, fiktives. Und wer meinen Blog lange genug verfolgt, der weiß um meinen Hang zum Makabren, zum Leiden. Aber das war das Schlimmste, was ich bisher gesehen habe. Und nun meine Fragen. Nochmal: diese Fragen ergeben sich nicht nur aus der Reportage, sondern auch aus meinen persönlichen Erfahrungen/Erfahrungen von Kolleg:innen, die ich im Austausch erfahren habe.
- Wie fändest du es, stundenlang in deinen Ausscheidungen zu liegen?
- Und wie oft musst du zur Toilette? Ich hoffe, dir genügt ein mal in 8h/3 mal in 24h.
- Du wirst respektlos und erniedrigend behandelt, wenn du deinen Urin bei Inkontinenz nicht halten kannst. Dafür werden dir Dinge vorenthalten. Zum Beispiel Trinken.
- Wieso sollte man dich waschen? Wirst ja doch wieder dreckig.
- Wirst du von drei halben Kartoffeln, nem kleinen Klecks Erbsen und Möhren und einem Handteller großen, dünnen Schnitzel satt? Mehr gibt’s nicht.
- Möchtest du Medikamente, darunter BTM und Injektionen von nicht dafür ausgebildetem Personal verabreicht bekommen?
- Möchtest du mit deinem Dekubitus am Gesäß stundenlang sitzen gelassen werden, manchmal auch nackt, wartend dass dir jemand hilft?
- Ist es okay, wenn du heute kein Handtuch zum waschen/abtrocknen bekommst, sondern deine Kleidung oder bestenfalls ein Bettlaken benutzen musst?
- Normalerweise bekommst du zur Sicherheit bzgl. deiner Inkontinenz eine wasserdichte Nässeschutzunterlage auf dein Bett, reicht es dir, wenn man ein Handtuch oder einen Leinensack (in dem normalerweise die Schmutzwäsche gesammelt wird) verwendet?
- Ist es okay, wenn niemand dir zuhört, niemand auf dich eingeht und deine Bedürfnisse egal sind?
- Wie wird es sein, nach einem Sturz nicht optimal versorgt zu werden?
- Und wenn es kein Verbandsmaterial gibt?
- Wie fändest du es, für deine Einschränkungen, die dich sehr belasten, keinen Mut, keinen Zuspruch zu erhalten, keine Förderung, sondern Respektlosigkeit, Ablehnung und Wut?
- Und eine Frage, die mir sehr am Herzen liegt: Wie fändest du es, wenn du hilflos im Bett liegst und eine PFK (Pflegefachkraft) zu erst deine Füße mit einem Waschlappen abschuppt (deine Füße sind gerötet, sehr trocken/schorfig/schuppig, die Haut ist rissig, mit kleinen Wunden) und dann mit dem SELBEN Waschlappen, sogar ohne ihn vorher auszuspülen (das würde es natürlich auch nicht besser machen!!!) deine Vagina oder deinen Penis wäscht?
- Wie fändest du es, wenn keine Materialien im Haus sind, um dir eine simple Grundversorgung zukommen zu lassen?
- Würdest du gerne stuhlverschmiert in einem Raum, der dementsprechend riecht, essen, oder dich auch nur aufhalten wollen?
- Würdest du gerne, wenn du keinen Hunger hast oder länger zum essen brauchst, oder das Essen nicht magst, dazu gewaltsam gezwungen werden?
- Wie fändest du es, den ganzen Tag TV zu schauen, jeden Tag?
- Oder wie fändest du es alternativ, den ganzen Tag in deinem Rollstuhl zu sitzen, aus dem Fenster starrend, von einem aufs nächste Essen zu warten?
- Fändest du es gut, wenn Handschuhe rationiert werden. Jemandem wird das Gesäß gesäubert und anschließend wird dir dein Gebiss in den Mund geführt?
Diese Fragen könnten noch lange so weiter gehen, aber ich tue uns den Gefallen, und belasse es dabei. Selbstverständlich ist das nicht überall so. Aber ist bei diesen Fragen nicht schon ein Fall, bei dem es jetzt gerade definitiv passiert, nicht ein Fall zu viel? Will man wirklich Glück haben müssen, wo man irgendwann mal landet? Manches ist der Einrichtung geschuldet, manches auch der Überlastung, aber nicht alles. Es gibt Kolleg:innen, die ich nicht als solche bezeichnen will! Und dann gibt es Kolleg:innen, die so etwas nicht mehr aushalten und der Pflege den Rücken kehren. Dieses ganze miese System bricht zusammen. Und auf den Menschen, die unser aller Hilfe benötigen und sie verdienen (nicht zuletzt, weil sie teuer dafür bezahlen!!), diese Menschen sind die Leidtragenden. Und irgendwann werden auch wir das sein.
Zum Schluss bin ich einfach nur sehr glücklich nun erfahren zu haben, dass es nicht so laufen muss. Und ich kann nur jeder Pflegekraft, die so etwas erlebt und nicht mehr aushält, raten, nicht aufzugeben. Denn es gibt diese tollen Einrichtungen, die oft nur in der Phantasie existieren. Ich arbeite in solch einer und es kann der tollste Beruf sein, den wir Pflegekräfte alle mal ausüben wollten. Und jene (auf irgendeine Art involvierte/das sind nicht nur Pflegekräfte), die in dieser Reportage gezeigt oder genannt werden, oder eben auch außerhalb dieser Reportage existieren, die respektloses, unmögliches, Menschenverachtendes Verhalten zeigen – bitte verlasst diesen Beruf und ich wünsche euch, dass ihr euch irgendwann mal selbst begegnet.