Autismus Erfahrung: erwünschte (affektive) Berührungen

Sowohl die funktionale (sozusagen eine notwendige) Berührung, als auch die affektive (eine emotionale) Berührung, werden im Allgemeinen als unangenehm empfunden. Jede Berührung bedeutet Stress aufgrund des Reizes und dem Problem der Reizfilterschwäche im autistischen Gehirn. In diesem Beitrag soll es vordergründig um die affektive Berührung gehen (aus meiner Erfahrung). Denn diese bringt nicht nur den Reiz der Berührung an sich mit, sondern auch die Emotionen einer oder mehrerer anderer Personen, zzgl. den eigenen.

Für mich sind diese Berührungen oft nur schwer zu ertragen. Sie lösen sowohl seelischen, als auch physischen Schmerz aus. Als Kind habe ich lange geschrien, mich versteckt oder bin ausgewichen. Aber als (unbekannt) autistisches Mädchen lernt man von seiner gesamten Umgebung, dass man nicht normal ist. Dies brachte mich weiter dazu, dass ich als Heranwachsende/junge Erwachsene auf (rückblickend betrachtet) sehr brutale Weise versucht habe, „normal“ zu sein/zu wirken, indem ich mich zu eben solchen Berührungen zwang. Menschen berühren, Berührungen zulassen. Es geht dabei nicht um Missbrauch, sondern um durchaus erwünschte Berührungen. Wenn ich darüber nachdenke, dann vermute ich, dass ich instinktiv versucht habe, affektive Berührungen in funktionale umzuwandeln. Hat natürlich nicht geklappt. Aus dieser Zeit habe ich lediglich gelernt, dass emotionale Berührungen niemals funktional (und gefühlskalt) sein sollten. Die zwischenzeitliche Gefühlstaubheit ist mir als ein willkommener Selbstschutz jedoch geblieben.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als mein Partner vor über sechs Jahren das erste mal meine Hand berührt hat. Ich meine, als erste Reaktion meine Hände weggezogen zu haben (korrigiere, wenn ich mich falsch erinnere :-)). Diese gewollte Berührung zog wie Stromschläge durch meinen gesamten Körper, ich zuckte innerlich (und vielleicht auch äußerlich) regelrecht zusammen. Es ist wie das schönste und schrecklichste Gefühl zugleich. Als wäre mein Körper in einen Nadelhaufen geworfen worden. Natürlich mochte ich ihn zu diesem Zeitpunkt bereits sehr. Zum Glück war er stets sehr Verständnisvoll und zeigte nötigen Respekt vor meinen Grenzen. Und vor allem Geduld. Bei unserem ersten Treffen, welches freundschaftlicher Natur war (obwohl ich ihn auch da schon mehr mochte), hatte ich kaum geredet. Er hat viel geredet, ich weiß jedoch nicht mehr worüber, denn ich war sehr mit meinen inneren Reizen überfordert. Nun, inzwischen bin ich ihm gegenüber überaus kommunikativ. 🙂 Und auch an seine Berührungen habe ich mich gewöhnt.

Trotzdem sind diese mit großem Stress verbunden. Und man kann es sich tatsächlich so vorstellen, dass er mich vor den meisten emotionalen Berührungen fragt, ob ich diese zulassen möchte und hört auf, wenn ich diese nicht mehr ertrage. (Hab halt echt den besten Mann der Welt, um mal eben anzugeben!)

Affektive Berührungen sind Teil der nonverbalen Kommunikation. Diese ist ohnehin für mich schwierig zu deuten. Und wenn dann auch noch die Berührung eines Menschen nicht zu seinen Emotionen passt, bin ich zusätzlich sehr verwirrt. Ja, so etwas kommt vor. Es gibt zum Beispiel Menschen, die Emotionen vortäuschen, um an ihre Ziele – in dem Fall emotionale Berührungen – zu kommen. Das kenne ich aus meiner Vergangenheit.

Unterm Strich kann man sagen, je emotionaler eine Berührung ist, desto intensiver nehme ich sie wahr/empfinde ich sie. Diese muss zusätzlich auf Ehrlichkeit/Vertrauen und sehr offener/direkter (verbaler) Kommunikation aufbauen.

Kommt es nun zu solch einer Berührung (in Form von Hände halten, einem Kuss oder einer Umarmung – darüber hinaus lasse ich hier außen vor), die von mir erwünscht ist, ist diese dennoch so extrem intensiv, dass ich sie nicht lange ertrage, Pausen brauche oder manchmal auch einfach den damit einhergehenden Schmerz genieße. Es hängt stark davon ab, wie vielen (und wie intensiven) Reizen ich davor bereits ausgesetzt war. An gewöhnlichen Tagen dauert so eine Berührung aber selten länger als wenige Sekunden.

Das genaue Gefühl ist sehr schwer zu beschreiben, da ich selbstverständlich keinen Vergleich zum nicht-autistischen Empfinden habe. Und nur aus Büchern kann man eben nicht alles lernen.

Darüber hinaus kommt es darauf an, wie diese Berührungen ausgeführt werden. Und auch meine Berührungen (die Intensität) sind manchmal nur schwer steuerbar. Man kann es sowohl scherzhaft verstehen, als aus ernst nehmen, dass ich andere Menschen schon aussehen lassen habe, als hätten sie mit einem riesigen Waschbär gekämpft. Liebe mit Gefühl, um es liebevoll wirken zu lassen. Besser ertragen kann ich sehr intensive/feste Berührungen. Sanft/zart triggert mich hingegen so sehr, dass ich umgehend zurückschrecke. Ich empfinde diese ohne Ausnahme als extrem unangenehm. Ich Vermute, dass dieses mit dem vegetativen Nervensystem zusammenhängt. Sehr festes umfassen des Körpers beruhigt dieses. (Zum Beispiel bei Angstzuständen). Ich habe natürlich keine Angst vor Berührung, dennoch durchlebt mein Körper diesen extremen Stresslevel. Wenn der Körper sehr fest umschlossen wird, beruhigt es also gleichzeitig auch. Ich nehme an, dass ich es deshalb allgemein als angenehmer empfinde.

Abschließend sei gesagt, dass das Ganze in jeder Minute und in jeder Situation sehr individuell zu betrachten ist. Eine vertrauensvolle, kommunikative Beziehung ist für mich (inzwischen) daher unabdingbar, um überhaupt emotionale Berührungen zulassen zu können. Ich verlasse mich auf die Reaktionen meines Körpers und akzeptiere diese und meine Grenzen. Das war ein langer Weg bis dahin, die „Reflexe“ nicht zu unterdrücken und (erwünschte) Berührungen nicht einfach geschehen zu lassen, aber er war etwas lehrreich.

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