Es tut sehr weh, seelisch/psychisch und körperlich, aus diesem Zustand auch nicht herauszukommen. Oft kann ich es inzwischen, wenn nicht verhindern, stark abmildern. Gut ist das nicht. Heute war es sehr anstrengend. Nicht nur für mich. Was wiederum von einem schlechten Gewissen begleitet wird. Denn niemand hat wirklich daran Schuld. Es ist, wie es ist. Ich bin eben so und kann mir auch nicht wünschen, dass ich anders wäre. Na ja, kann ich schon, bringt aber nichts. In letzter Zeit wünsche ich mir das aber öfter.
Nun, heute (Vormittag): Ein paar mal Türen knallen (ich musste in meinem Leben schon mehrere Türen ersetzen – die teuerste hat übrigens damals 800 Euro gekostet, eine Haustür). Dinge werfen, ich bemühe mich, nichts zu werfen, was zu Bruch gehen kann. Autoaggressiv, ich habe mir in die Hand gebissen, immerhin nicht wirklich verletzt, nur ein kleines Hämatom. Weinen. Und beinahe meine Kleidung zerrissen, konnte aber auch das unterdrücken. Fluchen, wildes Umherirren, weinen. Und schließlich im Bett aufgeben und warten, bis es sich löst.
Auslöser war meine gestörte Routine, dadurch, dass mein Partner heute Homeoffice hatte. Es bahnte sich bereits Nachts an, als ich um drei Uhr aufstand, um zu duschen, dann zwei Stunden Serie geschaut, dann wieder ins Bett. Normalerweise stehe ich gegen fünf Uhr auf und starte meine Routine. Heute blieb ich lange im Bett, um den Verlust meiner Routine quasi zunächst aus dem Weg zu gehen. Klappte natürlich nicht. Ich hatte meine Routine nicht, meinen Platz nicht, mein Alleinsein nicht. Das ist überhaupt kein Vorwurf und eigentlich wollte ich das nicht aufschreiben. Aber ich denke auch, dass es okay ist zu wissen, dass es nicht immer reibungslos läuft. Und es muss okay sein. Ich versuche mir selbst nicht böse zu sein.
Nun, die Glieder sind schwer, schmerzen, der Kopf weitestgehend leer, Kopfschmerzen. Erschöpfung. Dazu noch immer meine gestörte Routine, das ruiniert halt immer den ganzen Tag. Aber immerhin habe ich meinen Platz wieder. Trotzdem werde ich gleich duschen gehen. Das Bad ist irgendwie mein Lieblingsort und ich weiß, alle Welt redet von Wasser (bzw. Energie) sparen, aber darin bin ich sehr miserabel, schon seit ich denken kann.
Ich habe das Gefühl nun etwas zu brauchen, aber ich weiß nicht was. Irgendetwas, das meine Glieder trägt / im übertragenen Sinn, ohne mich weiter zu beschweren. Zugleich bin ich gerade nicht besonders zugänglich. Alles ist zu viel und zu wenig auf einmal. Weiß nicht, ob das jemand versteht. Ich nicht. Vielleicht würde auch das schon reichen. Jemand, der versteht. Da ist, ohne anwesend zu sein. Nah ist, ohne nah zu sein. Struggle neuerdings unheimlich mit mir selbst, will das Handtuch werfen, will nicht immer stark sein müssen, weil ich es nicht immer kann.
Habe neulich einen Spruch gelesen: Viele finden dich (in dem Wissen, dass du Autist:in bist) interessant, bis sie tatsächlich merken, dass du Autist:in bist.
Ich verstehe, dass Routinen oder feste Abläufe oder sag auch Strukturen hilfreich sein können, Haltestangen im Leben sind. Aber muss man sich immer mit zwei Händen festhalten? Genügt nicht eine Hand, um sich sicher zu fühlen? Und was bekommst Du weniger, wenn Du Dich nicht einengst? Ich meine aus dem Umfeld, das dann vielleicht auch dazu lernt?
Ich frage das nicht, um zu provozieren, sondern auch um zu lernen, weil ich auch mit autistischen Kontakt habe und von ihnen lernen möchte.
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Vielen Dank für deine Frage. Rückfragen sind immer gern gesehen. 🙂
Das ist quasi Kernpunkt der Behinderung. Ein Autist befindet sich aufgrund der Reizfilterschwäche im nahezu permanenten Overload. Da sind nicht mal Reize wie laute Musik, Bohren des Nachbarn, unangekündigter Besuch, etc, gemeint. Sondern alle alltäglichen Umgebungsreize durch Umwelt, Menschen usw. Angefangen bei Wind (Wetter/Hitze/Kälte), Vogelzwitzern, dem Ticken der Uhr, den Bildern an der Wand, der Stoff auf der Haut, den üblichen Gerüchen. Das autistische Gehirn kann diese Reize nicht filtern. Selbst wenn Reize als angenehm empfunden werden, bleibt es dennoch ein Reiz. Dazu ist die Löffeltheorie wissenswert. Durch die Routinen werden Reize in einem gewissen Maß kompensiert bzw. gesteuert, die Routinen übernehmen somit quasi die Aufgabe, die im Normalfall das Gehirn ganz automatisch übernimmt. Somit engen die Routinen nicht ein, sondern bieten eine gewisse Freiheit, den Alltag zu bewältigen, ohne ständig in einem Meltdown zu enden. (Passiert mir tatsächlich inzwischen sehr selten)
Jeder Autist ist natürlich anders, bei manchen muss der komplette Alltag durchstrukturiert sein, gespickt mit zahlreichen Hilfsmitteln. Mir ist im Grunde nur die morgendliche Routine sehr wichtig. Für den restlichen Alltag bietet im Kopf Plan A-Z ein bisschen Flexibilität. Die Umgebung in die Routinen zu integrieren ist schwierig, denn üblicherweise sind anderen (u.a. nicht-autistischen Menschen) strukturierte Handlungsabläufe nicht so wichtig. In die Wochenenden, die für mich dennoch anstrengender sind, als andere Tage, ist mein Partner zum Beispiel integriert. Da bin ich etwas lockerer und richte mich eher nach kleinen Routinen (wie z.B. den selben Ablauf fürs Kaffee kochen). Und, ganz wichtig, meine (immer gleiche) Rückzugsmöglichkeit.
Gestern waren diese Dinge nicht möglich, diese bevorstehenden Veränderungen hatten mich ja bereits zur Nacht getriggert. Meine „Löffel“ waren frühmorgens sogesehen schon aufgebraucht und dann war meine übliche Rückzugsmöglichkeit nicht nur verändert (er hatte seinen Arbeits-PC angeschlossen), sondern auch nicht verfügbar, wegen dem Homeoffice eben. Der Meltdown funktioniert dann wie der Überhitzungsschutz bei einem elektrischen Gerät. Oder dem Überspannungsschutz/Ableiter. Das System ist an der Überlastungsgrenze und erzwingt eine Notabschaltung. Der Meltdown ist der Knall vor dem Stromausfall.
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Danke für diese ausführliche Erklärung!
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Kann man lernen die Energie in Bahnen zu lenken?
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Ja, zum Beispiel durch Stimming. Oft funktioniert das bei mir auch, nur gestern (vor dem Meltdown) funktionierte dahingehend nichts. Lies gern auch meine andere Antwort hier in den Kommentaren, da habe ich etwas mehr erklärt. 🙂
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Danke dir
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