Autismus: Grenzen

Wenn ich mich über diverse Kanäle mit anderen Autist:innen austausche, komme ich immer wieder mit dem Thema ‚Grenzen‘ in Kontakt. Ob es die Grenze ist, etwas nicht zu können und es trotzdem tun zu müssen, weil es erwartet wird. Oder etwas tun oder zulassen zu müssen, obwohl man es nicht möchte (zum Beispiel gesellschaftliche Anlässe). Oder aber Routinen brechen zu müssen, weil man heutzutage schließlich spontan und flexibel zu sein hat. Oder man muss körperliche Berührungen zulassen, weil die andere Person das so möchte (und diese möchte man ggf. nicht enttäuschen) oder für die Person selbst ist es nicht schlimm (zum Beispiel Berührungen im Bus oder an der Supermarktkasse)

Autist:innen sind dann nicht selten sehr Reizüberflutet und melden sich mit verzweifelten Worten. „Ich habe wieder unangemessen reagiert“ „Mir wurde gesagt, dass ich übertreibe“ „Ich habe einfach mitgemacht, konnte es jedoch nicht gut und wurde deshalb ausgelacht“ Die Liste könnte lang sein und kann manchmal sogar darin enden, dass man sich selbst dafür hasst, dass man ist, wie man ist. Und wenn dieses Karussell sich über Jahre im Kreis dreht, können daraus Krankheiten entstehen, die vermeidbar gewesen wären. Ich selbst habe verschiedene Traumata und chronische Depressionen in fast 30 Jahren angesammelt, weil ich meine Grenzen nicht durchgesetzt habe.

Therapeutische Hilfe ist in diesen Fällen so selten, wie ein sechser im Lotto. Und fachgerechte Hilfe, auf Autismus spezalisiert, ist so selten, dass es mir allenfalls als Gerücht bekannt ist.

Während eines autistischen Burnouts war ich selbst auf Therapeuten-Suche. Und wie nicht anders zu erwarten: ich habe keinen gefunden. Und das, obwohl ich nicht gerade dörflich Lebe. Ich habe also in einem großen Umkreis gesucht und ungefähr 100 Therapeuten kontaktiert. Zum Gespräch eingeladen wurde ich von einem. Dieser war sehr nett und das Gespräch ist mir angenehm in Erinnerung geblieben. Leider hatte dieser nicht die Kapazitäten, die ich gebraucht hätte. Er konnte mir 10 Stunden anbieten. Wir waren uns einig, dass das nichts bringt. Von Autismus hatte er gar keine Ahnung. Das war für mich jedoch nicht schlimm, und auch keine Überraschung. Ich konnte ihm einiges erklären und er meinte zum Schluss, dass er dies sehr interessant findet und sich weiter belesen wird.

Das Gespräch war also gut, doch die Aussicht für mich natürlich schlecht.

Ich weiß nicht genau wann, aber irgendwann habe ich es aufgegeben. Selbst dieser dinglichkeits-Code war ein Witz. Dieser brachte mir eine akut-Stunde ein. Das Gespräch war nach einer viertel Stunde vorbei. Vom Gefühl her war das eher eine Lücke im Terminplan, die (finanziell gesehen) gefüllt werden sollte.

Meine Psychiaterin war dann…ach, da mag ich gar nichts drüber sagen. Ein mal im Monat habe ich da gesessen, ihr gesagt, dass es mir besser geht, mit den Pillen, die sie mir verschrieben hat. Und das wars. Die einzige Schwirigkeit bestand darin, die Beipackzettel auswendig zu lernen und immer genau zu wissen, wann ich wohl ein neues Rezept brauche von den Tabletten, die ich nicht genommen habe. Denn auch imaginäre Tabletten müssen weniger werden. Und die zahlreichen Nebenwirkungen sind selbstverständlich nach und nach verschwunden. Man, konnte ich eine Show abziehen.

Trotzdem war ich ohne fachliche Unterstützung nicht untätig. Und das Thema Grenzen spielt hier eine zentrale Rolle. Denn ich habe nie auf meine Grenzen Rücksicht genommen. Erst dann, wenn ich vor lauter Depressionen manchmal Monatelang nicht mehr aus dem Bett kam. Ich war schon so weit zu denken, dass das eben zu mir gehört und dass ich eben so bin. Aber das stimmte nicht. Natürlich habe ich diverse Traumata erlebt (darauf möchte ich im öffentlichen Raum nicht näher eingehen) und auch die Depressionen werden vermutlich nie gänzlich verschwinden. Es gibt immer Momente, in denen ich einfach zu viel Nachdenke. Aber es geht mir inzwischen deutlich besser! Und ein wichtiger Grund dafür ist, dass ich meine Grenzen kennengelernt habe und auch gelernt habe, diese umzusetzen.

Es gibt Menschen, denen kann man das direkt sagen. Es gibt aber auch Menschen, die die Grenzen lächerlich finden. (Zum Beispiel wenn man bei einer Feier eben nicht tanzen möchte) Für letztere kann ich die gute alte Ausrede empfehlen. Mal kurz aufs Klo, mit Übelkeit an die Luft, etc. Für andere Menschen mag das eine Kleinigkeit sein, für manch eine:n Autisten/Autistin bedeutet es, im Anschluss mit einem Overload oder einem Shutdown die nächsten Stunden verbringen zu müssen. Oder im schlimmsten Fall einem (nicht mehr zu unterdrückendem) Meltdown, womit man so ziemlich alle Blicke auf sich zieht.

(Zum Thema Meltdown, Shutdown und Overload wird es noch Beiträge geben)

Dann gibt es aber die wirklich wichtigen Grenzen. Und da ist es wichtig zu wissen, dass man es niemandem recht machen muss, ausser sich selbst. Man muss keine Berührungen ertragen, Gespräche führen, wenn andere sie führen wollen, einspringen, mehr Arbeiten, als es möglich ist. Und man muss auch nicht an privaten Veranstaltungen teilnehmen, wenn man genau weiß, dass die Aktivitäten dort nicht auf die Bedürfnisse angepasst werden. Man will auch nicht ständig mit einer Hinweis-Plakette herumlaufen, auf der steht, dass man autistisch ist. (Klappt eh nicht, hab’s versucht. Beachtet kein Mensch. Gebt also in dieser Sache kein Geld aus)

Ich habe gelernt zu sagen, wenn ich etwas nicht will. Und wenn man das erst mal gelernt hat, fällt einem auf, dass viele Menschen keine Grenzen respektieren. Aber dann werde ich lauter. Und wenn es sein muss, dann werde ich auch frech. Und nein, ich arbeite keine 40 Stunden Woche. Mein (jetziger)Arbeitgeber ist da auch sehr Rücksichtsvoll und geht auf meine Bedürfnisse ein, die die Behinderung mit sich bringt. Manchmal werde ich von Kolleg:innen noch gefragt, weshalb ich denn so und so arbeite, ob ich das wegen einem Stall voll Kinder machen würde (denn das könnten sie verstehen) Aber nein, ich habe kein Problem mehr damit zuzugeben, dass ich Grenzen habe. Ich tue das also nur für mich. (Witzigerweise habe ich diese seinerzeit sogar im Anschreiben benannt, um mir selbst den Gefallen zu tun. Welcher zukünftige Arbeitgeber liest nicht gern von Grenzen 😉 Nun ja, dieser war auf jeden Fall begeistert)

Auch mit meinem Körper muss ich nicht das machen oder zulassen, was andere von mir erwarten. Meine kleinen Routinen sind ebenfalls wichtig. Ich habe gelernt, für mich selbst einzustehen! Grenzen sind wichtig, davon hängt ab, ob die Psyche gesund oder wenigstens stabil ist, oder nicht. Und wenn andere Menschen das nicht verstehen, dann erkläre ich es gern. Und wenn sie es nicht verstehen wollen, dann halt nicht: Tschüss.

Und wenn du deine Grenzen überschreitest (ob autistisch oder nicht), weil du denkst, dass du das musst, dann gebe ich dir den Rat:

N‘ Scheiss musst du. Deine Grenzen und Bedürfnisse sind wichtig! Und über alles Weitere kann man reden.