Autismus Erfahrung: alle Karten auf dem Tisch

Ich habe gestern einen Gedanken gehört, den ich sehr teile. Demnach wäre es schön, wenn Menschen so eine Statusleiste über dem Kopf haben, wie bei Sims. Bedürfnisse werden angezeigt, darunter auch die sozialen. Was dem Menschen gefällt, was er braucht, was er sich wünscht, auch was ggf. von mir erwartet wird. Na, jeder der Sims kennt, weiß was ich meine. Ebenso sind dann auch die Absichten klar erkennbar. Denn bei Menschen ist es üblicherweise so, dass diese Informationen kaum geteilt werden, oder nicht der (ganzen) Wahrheit entsprechen. Darüber hinaus steht dort, in welcher Beziehung man zueinander steht. Dieses Konzept ist mir vollkommen schleierhaft. Ab wann ist man „Bekannt“ und ab wann „Freund“? Und welcher Art? Gibt es da ein einheitliches Punktesystem, von dem ich nichts weiß? Na ja, ich weiß natürlich, dass es das nicht gibt. Aber das sollte es geben.

Wenn mich Menschen nicht direkt abschrecken, dann spätestens nach einer Weile. Ich habe bisher nur einen Menschen kennengelernt, der mir quasi diese Statusleiste regelmäßig vorgetragen hat. Ein Mensch, bei dem ich das Gefühl bekomme, nicht nur ein Bruchteil davon zu erfahren. Und da muss ich sagen, wird es sogar mit anderen Autist:innen manchmal schwierig. Zwar erfährt man den Inhalt der Statusleiste, oft kommen jedoch persönliche Kommunikationsschwierigkeiten hinzu, was diese Leiste wiederum unvollständig zeigt. Ich selbst spreche mich davon auch nicht frei. Ich weiß sehr oft nicht, eben insbesondere bei sozialen/Gefühls-Angelegenheiten, wie ich etwas ausdrücken kann, damit es dem entspricht, wie ich es meine. Menschen interpretieren auch oft zu viel und sind es gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen.

Da bekomme ich wirklich Lust, mal wieder Sims zu spielen. Wobei ich da eh meist nur baue und einrichte.

Ich würde dennoch behaupten, dass ich inzwischen recht emphatisch wirken kann. Mitfühlend auf meine Art. Die meisten Informationen habe ich dafür aus dem Internet. Ich kann durchaus fühlen, was andere fühlen. Manchmal so stark, dass es mich / meine Gefühle verdrängt oder sich damit vermischt. Deshalb wurde auch ursprünglich gesagt, dass ich hochsensibel bin. Jedoch kann ich davon kaum etwas greifen, benennen oder deuten. Weshalb ich meistens einfach nur verwirrt bin und schweige. In einer Umgebung, in welcher sich mehrere Menschen aufhalten, wird es so richtig schwer. Aber wie gesagt, kann ich inzwischen gut so tun als ob. Und ich freue mich dann über einen Glückstreffer. Noch mehr freue ich mich aber, wenn mir direkt gesagt wird, was einen bewegt. Deshalb mag ich meinen sozialen Beruf, diese Menschen behalten selten etwas für sich. Und ich kann relativ leicht entsprechend reagieren.

Ich kann verstehen, dass die meisten es vermutlich nicht so toll fänden, wenn all ihre Bedürfnisse und Empfindungen offen für jeden sichtbar wären. Aber was genau daran so schlimm wäre, verstehe ich nicht. Ich meine, zwar wäre alles offenbart und nicht jedem gefällt dann, was dort offenbart wird. Aber man muss doch nicht jedem gefallen. Und immerhin gefällt man dann nur den Menschen, von denen man sehen würde, dann man ihnen auch gefällt. Niemand könnte mehr unbemerkt hinter dem Rücken lästern, alle Karten lägen stets offen. Selbst die peinlichen, unangenehmen. Nur schon mal überlegt, was einem selbst peinlich ist, könnte einem anderen gefallen? Na ja und der Rest lacht halt darüber, aber das könnte man dann ja auch sehen. Es gäbe nur noch gnadenlose Ehrlichkeit. Das würde unterm Strich jedem eine Menge Zeit einsparen. Denn selbst wenn nicht-Autist:innen diese Einschränkungen nicht haben, so können diese Menschen doch auch nicht alles erkennen. In dem Sinne von: jeder wird mal getäuscht (im positiven oder negativen). Nun…mit so einer Statusleiste nicht mehr.

Ich bin jedenfalls so weit, dass ich wohlüberlegt einigen Gedankengängen oder Gefühlen folgen kann und manchmal richtig darauf reagiere. Und die unzähligen Fragezeichen in meinem Kopf versuche ich bestmöglich zu verstecken. Halt bevor mich dieser Mensch dann vertreibt, bzw. meine damit einhergehende Überforderung.

Ich denke, zwischen den Zeilen steht hier ein Grund, weshalb ich kaum langfristige Kontakte pflege. Habe für dieses endlose rätselraten-Theater keine Energie.