Triggerwarnung: hier gibt’s keine Blümchen und keine Sonne.
Ich mag den grauen Himmel, könnte mich stundenlang von den Wolken führen lassen und vom grellen Licht in die Irre. Stattdessen höre ich alte Musik und lese in alten Büchern. Man merkt es den Künstlern an, wenn sie glücklich geworden sind und es sei jedem von Herzen gegönnt. Aber selbst wenn ihre Texte weiterhin meinen Geschmack treffen, das Gefühl ist weg. Auch ich kann mich davon nicht freisprechen, obwohl ich das mit dem Glück nicht lange aushalte. Es ist mir zu langweilig. Ich mag meine Leichen im Keller und mag Menschen, die ebenfalls ein paar Leichen hegen und pflegen. Ich kann also sagen, dass ich nicht glücklich, aber ruhiger geworden bin, rein äußerlich.
Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, wann ich das letzte mal die langen Ärmel meines Pullovers über meine frisch geschnittenen Wunden gezogen habe, welche dann selbstverständlich nach und nach mit diesem verklebten. An das Gefühl, wenn ich den Pullover wieder auszog, kann ich mich aber erinnern. Je nach Tagesform geschah das langsam oder ganz schnell. Heute müsste ich theoretisch, wenn ich kurze Ärmel trage, ne „Triggerwarnung-Kette“ um den Hals tragen, ganz wichtig: mit integriertem Warnsignal, damit die Ignoranten, welche die Narben durchaus mit verächtlichem Blick beäugen, auch die davor warnende Kette wahrnehmen. Nur zur Absicherung. So als kleinen humoristischen Rand. (Ist halt wirklich mein Humor)
Während ich mich also an meinen Leichen erfreue: in dem Zusammenhang: die weltweite Tötungsrate beträgt 6,2 je 100.000 Einwohner. Das nenne ich einen Gesprächseinstieg! „Hast du eine deiner Leichen selbst getötet?“ Wenn die Antwort lautet: „ich habe keine Leichen“, dann bitte, bitte lass mich in Ruhe. Heute hat mich auf Insta so ein glatt-gebügelter Mustersohn angeschrieben mit „Hallo, wie geht’s?“ Diese Frage hat mich irgendwann mal überfordert, inzwischen knallt mein Kopf reflexartig auf die Tastatur, eine Haarsträhne löst sich aus meinem Gammeldutt, bewegt die Maus, klickt auf „blockieren“ und dann werde ich wieder wach. Zumindest denke ich, dass es so abläuft, während ich vor lauter Ödnis mit dem Kopf auf die Tastatur knalle.
Aber ich kann ja auch angepasst höflich sein, also antwortete ich diesem ominösen Fake-Profil (keine Ahnung, ob das ein Fake war, ist ja auch egal) mit „kann nicht klagen“, als würde es ihn wirklich interessieren und hing die Frage an, wo er denn mein Profil gefunden hätte. Die Antwort, die ich darauf erhielt, beantwortete zwar nicht meine Frage, löste aber meinen üblichen Reflex aus. „Blablabla, schleimschmierglibbersülzkotz, du siehst so charmant aus, blablabla.“ Bei „charmant“ war ich raus, den Rest habe ich nicht mehr wahrgenommen. Ich bin nicht charmant, nur damit das klar ist. Mit solchen Leuten bin ich wirklich nicht kompatibel.
Um aber zurückzukommen, während ich mich an meinen Leichen erfreue, und den grauen Himmel so viel schöner als den sonnigen finde, höre ich alte Musik und lese alte Texte. Und dann erlebe ich das, was ich eben schon sehr oft erlebt habe, ich schaue nach Neuem und stelle fest: ah, die sind glücklich. Wirklich nichts für ungut, ich mag, also ich finde, also sie sollen glücklich sein, ich mag, ähm also, es hat definitiv ne Daseinsberechtigung, ja. So. Ich finde das Glückliche einfach unheimlich unheimlich und es kommt mir ziemlich suspekt vor. (Gibts eigentlich auch Sonne und Menschenhassende Paare, die sich gemeinsam in ihrem Depressionsmüll suhlen? Oder was auch immer die Psyche so hergibt.)
Ich muss es halt fühlen, mal so ganz allgemein, nicht nur bei Künstlern. Und ich fühle es nur, wenn die Menschen, entschuldigt diese Direktheit, echt gestört sind (das ist sehr wertschätzend und liebevoll gemeint). Je kaputter die Person, desto intensiver das Gefühl. Die Leidenschaft. – In eine Person konnte ich mich so gut hineinfühlen, dass sie dachte, ich läge seit Wochen unter ihrem Bett und ich spüre diese Person nach vielen Jahren immer noch so intensiv, trotz diverser Barrieren. – Aber das soll nichts zur Sache tun (um welche Zeitverschwendung es in diesem Text auch immer gehen mag).
Unterm Strich: zeig mir deine Leichen, dann zeige ich dir meine. Dieses System könnte funktionieren. Und nun höre ich weiter meine alte Musik und lese alte Texte.
Nicht alt, aber in diesem Sinne etwas Gänsehaut (bei dieser Stimme)