Nur kurz zu physischen Verletzungen:
Es ist durchaus möglich, dass Autist:innen sich selbst und/oder andere körperlich verletzen könnten. Wie immer ist das individuell zu betrachten. Das geschieht niemals in böser Absicht, sondern resultiert meist aus einer Überreizung. Z.B. wenn ein Autist eine Berührung nicht möchte und dies, sofern möglich, auch schon verbal geäußert hat. Man könnte also sagen, dass dieses aggressive Verhalten sich selbst oder anderen gegenüber eine Schutzhandlung ist, eine Abwehrhandlung. Vor allem gegen das Aufzwingen von Reizen. Aber auch wenn etwas (aus der Wahrnehmung des Autisten) falsch gemacht wird, kann das zu aggressiven Handlungen führen. Das ist jedoch stets der letzte Ausweg, ein Versuch von Kommunikation, wenn jeder andere Versuch gescheitert ist. Häufig kommt dieses Verhalten während oder kurz vor einem Meltdown vor (z.B. auch um diesen zu verhindern).
Die Absicht ist dabei niemals, sich selbst oder andere ernsthaft zu verletzen. Ein Autist würde also nicht entspannt losgehen, sich gezielt ein großes Messer suchen und sich selbst oder jemand anderen damit abstechen. Das Verhalten ist affektiv. Sich selbst oder andere beißen, kratzen, stoßen, um sich schlagen, mit Gegenständen werfen, Gegenstände zerstören. Fremdaggressives Verhalten kommt deutlich seltener vor, als Autoaggressives. Es genügt im Grunde schon, ausreichend Abstand zu halten, wenn ein/e Autist:in derart Reizüberflutet ist.
Ich persönlich handle gar nicht Fremdaggressiv, weil ich gelernt habe, mir selbst den Abstand zu verschaffen. Und auch das Autoaggressive Verhalten konnte ich auf ein Minimum reduzieren. Darauf bin ich sogar recht stolz, denn in dieser Hinsicht bin ich sehr lange sehr schlecht mit mir selbst umgegangen. Hilfreich können verschiedene Stims sein. Für mich war auch eine Verhaltenstherapie hilfreich.
Unterm Strich sind Autist:innen vollkommen ungefährlich, sofern man ihren Bedürfnissen nachkommt. Bei Autist:innen, die nicht sprechen können, gestaltet sich das entsprechend schwierig. Als Faustregel kann man aber sagen, dass ein Bedürfnis in jedem Fall Ruhe / reizarme Umgebung ist.
Interessanter sind da die emotionalen Verletzungen.
Es ist ein Irrglaube, welcher von nicht-autistischen Menschen über Autist:innen angenommen wird, sie würden es nicht merken, wenn andere Menschen durch ihr Verhalten verletzt sind. Viele Autist:innen spüren dies sogar deutlich intensiver, als nicht-autistische Menschen. Es sind einfach nur die altbekannten Kommunikationsschwierigkeiten. Für Autist:innen ist es (unterschiedlich) schwer, die eigenen Emotionen/Gefühle, bzw. die der anderen Menschen zu interpretieren und dann auch noch zu verbalisieren. Nichts ist so schwer zu definieren wie Gefühle. Oft ergeben sie keinen Sinn, oder es ist das reinste Durcheinander. Falsche Höflichkeiten sind beliebt, für einen Autisten aber vollkommen nutzlos und fern jeder Logik (außer im Umgang mit Behörden vielleicht). Daher sage ich öfter mal Sachen, die verletzend sind. Dafür entschuldige ich mich aber auch nicht, weil ich es ja so gemeint habe.
Wenn ich zum Beispiel meinen Partner frage, ob mein Hintern fett in der Hose aussieht und er mit nein antwortet (obwohl es so ist), dann finde ich das unhöflich. Ist nur ein Beispiel, aber auch sehr klassisch unter Partnerschaften/Freundschaften. Es werden bevorzugt nette Dinge, als ehrliche gesagt. Und das verstehe ich überhaupt nicht. Ich war auch schon in diesen Mädels-Gruppen, wo dann auf Nachfrage hin alle sagten „dein Make-up sieht toll aus“ und sobald dieses Mädel nicht mehr da war, wurde darüber hergezogen. Anstatt zu sagen, dass der hellblaue Lidschatten bis unter die Augenbrauen geschmiert kacke aussieht, lässt man sie damit herumlaufen. Wozu? Damit auch andere was zu lachen haben? Ist es Neid? Gewiss manchmal. Ich denke, wenn jemand eine ehrliche Meinung haben möchte, sollte man diese auch sagen. Und genauso verhält es sich mit Gefühlen. Man kann nicht jeden Menschen toll finden, was bringen da vorgespielte Nettigkeiten? Selbst wenn man jemanden (oder auch sich selbst) verletzt, langfristig ist Ehrlichkeit doch hilfreich.
Andererseits verstehe ich aber auch nicht diese zahlreichen Hate-Kommentare, die selbstverständlich nur im Internet verfasst werden. Das sind dann die ungefragten Meinungen völlig fremder Menschen. Wie z.B. „deine Arme sind zu lang, das ist hässlich“. Ja, und jetzt? Das verletzt halt ggf. unnötig. Und oftmals frage ich mich da ernsthaft, wer hier wirklich die eingeschränkte Sozialkompetenz hat. Ich, als Autistin, oder die anderen, die sich mit so einem Bullshit die Zeit vertreiben. Btw. Ich hab noch nie einen Hate-Kommentar verfasst. Bin aber auch mit Komplimenten sehr sparsam – dafür sind sie absolut ehrlich gemeint.
Man muss (in diesem Fall Fremden) eben nicht alles sagen, was einem nicht gefällt. Wenn man aber gefragt wird, sollte man ehrlich und nach Möglichkeit sogar objektiv sein.
Wenn ich nun jemanden mit meinen Aussagen (oder oftmals auch mit meinem Schweigen) verletze, kann ich mir das zwar irgendwie denken, aber eben nicht genau definieren und folglich auch nicht entsprechend emphatisch darauf reagieren (weil dem verletzt sein andere Gefühle ähnlich sind). Ich fühle mich meistens überfordert und sage dann nichts. Was dann oftmals noch verletzender wirkt. Ja, so kann man Menschen vergraulen. 😉 Vereinfachen würde es die Kommunikation, wenn die andere Person ihre Gefühle selbst definiert (oder versucht zu erklären) und diese dann äußert. „Das was du gesagt/getan hast, hat mich verletzt“. Genaue Erklärung von dem, was verletzt hat, sollte beigefügt werden. So habe ich zum Beispiel die Möglichkeit zu sagen, warum ich etwas gesagt/getan habe, was eine Situation oftmals wieder auflockert. Ich erlebe es sehr häufig, dass Dinge, die ich sage/mache, fehlinterpretiert werden. Das macht eine offene Kommunikation so wichtig. Selbst wenn ich eine Sache so meinte, wie ich sie gesagt/getan habe, kann ich durchaus Mitgefühl empfinden. Oder eben einen Fehler eingestehen. Auch vom Mitgefühl wird häufig angenommen, dass Autist:innen dies nicht empfinden können. Das ist eben falsch. Das ein oder andere kommt vielleicht hölzern an, ist jedoch nicht böse gemeint.
Schwierig sind auch die eigenen Emotionen, von denen ich meist komplett überladen bin. Es fällt mir schwer, diese nonverbal zu zeigen. (echte Freude sieht man mir aber deutlich an :-)) Oftmals aber auch, sie überhaupt anzusprechen, eben weil das meiste davon nicht klar zu definieren ist. Was ist verletzt sein überhaupt und warum? Andere Gefühle liegen dem verletzt sein sehr nahe, weshalb ich oft gar nicht weiß, ob ich überhaupt verletzt bin. In der Therapie wurde ich tatsächlich häufig nach allen naheliegenden Gefühlen abgefragt und es hat ewig gedauert, da einen genauen Punkt in mir zu treffen, der zutrifft. So manche Zeit habe ich schweigend verbracht, weil Überforderung stets die Überschrift bildet. Ich bin selten durch andere Menschen verletzt. Meistens ist es Überforderung durch andere Gefühle. Ohne äußere Unterstützung kann es schnell so viel werden, dass man eben nur noch schweigen/sich zurückziehen kann.
Schwieriges Thema für mich, da verliere ich mich in Erklärungsversuchen.
Zusammenfassend: Offene und direkte Kommunikation und Unterstützung ist unabdingbar. In der Ausführung eigentlich nicht schwer.
Mein Partner tut sich da etwas schwer mit der direkten Kommunikation, trotzdem kommt es fast nie zu einem Streit und wenn, dann nur sehr kurz. Ich muss des Öfteren darauf hinweisen, in meine Aussagen nichts hinein zu interpretieren, aber das genügt dann auch. Ich sage auch sehr oft, dass ich etwas nicht böse meine. Ich bin zwar sehr kompliziert, würde aber sagen, wenn man das Ganze ein mal begriffen hat und damit umzugehen weiß, ist es relativ simpel. Wir reden zum Beispiel manchmal darüber, was wir gut oder schlecht (aneinander) finden. Kann ich jedem empfehlen (also auch nicht-autistischen Paaren/Freundschaften), da kommen oft Dinge zutage, die ich nicht mal im Ansatz vermutet hätte. Ein Gastbeitrag vom Partner wäre vielleicht mal interessant.
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