Sie sucht nach ihm in den Armen fremder Männer.
© Amy Herzog
Sie sucht nach ihm in den Armen fremder Männer.
© Amy Herzog
deine Beine fühlen schwerstes Blei so höre ich wohl deinen Schrei scheuern tiefer sinkend scharfe Ketten auf ausgezehrten Knochen hängen, ziehen goldverzierte Truhen all meine Geheimnisse lasse ich tief und tiefer in dir ruhen und du willst doch kannst sie nicht erreichen, brechen, lesen, bleichen meine Sickergrunbenseele unergründlich Kopf verdreht, die Glieder taub so schwer dein Herz verendet zehrend, liebend, leidend in meiner Handvoll Staub
© Amy Herzog

In der Morgendämmerung
küsst mich eine leere Bettseite
und streichelt den wiederkehrenden Traum
holt mich sanft in einem Geheimnis ab
und ich falle in die Welt zurück
Ist eigentlich alles ein Geheimnis
wirklich unaussprechlich
oder hat nur nie jemand gefragt?
In der Abenddämmerung
suche ich dich unterm Kopfkissen
und finde meinen geliebten
ein liebliches Betthupferl
meinen ersehnten
Traum
© Amy Herzog
Sie hat noch nie, ja wirklich in ihrem ganzen Leben noch nie, ausführlich darüber gesprochen. Eine Handvoll Menschen wissen davon, oberflächlich versteht sich. Kleine Puzzlestücke verteilte sie über die Jahre. Eine Handvoll Menschen haben ein fünfzigtausend-Teile Puzzle, wovon ihnen neunundvierzigtausendneunhundert Teile fehlen. Und diese wird sie vermutlich mit ins Grab nehmen. Sie ist eine Frau voller Geheimnisse. Grauenvolle Geheimnisse, getarnt hinter einem Lächeln als gut behüteten Schatz.
Fünfzehn Jahre, und das ist nur eine ungefähre Zeitangabe, hat sie überlebt. Natürlich wird eingeredet, dass das kein Überleben ist. Von jenen, die ein oder zwei Puzzleteile von ihr gezeigt bekommen haben, denn sie hatte ja gar keine schlimme Krankheit. Noch mehrere Teile dieses gut behüteten Schatzes haben diese Menschen dann auch nicht verdient. Denn sie haben nicht mal die Rechnung für diese ein oder zwei Teile begleichen können.
Nach außen war sie das, was von ihr erwartet wurde, nahezu Oscarreif. Im Innern, hinter unüberwindbaren Mauern, hat sie überlebt. Sie ist eine überlebende. Am Ende bekam sie zwar keinen Oscar dafür. Nur ihren gut behüteten Schatz. Und nicht, dass sie es gebraucht hätte, denn wer braucht das schon, aber sie bekam noch eine weitere wertvolle Sache für ihr Leben. Viel wertvoller als es ein Preis je sein könnte. Nämlich die absolute Gewissheit, dass sie nie wieder überleben muss.
Dieses Puzzle hat einen Wert, den niemand je bezahlen könnte. So glaubt sie jedenfalls zu wissen. Man sagt das wohl so: „ich vertraue dir zu 100%“, aber der Wert dieses Puzzles entspricht tatsächlich diesen „bis in alle Ewigkeit 100%“. Und sind wir mal ehrlich, diese 100% sind entweder vorgetäuscht, oder nur von kurzer Dauer. Es ist das wertvollste, das sie sich vorstellen kann. Und deshalb hat es diesen, im Grunde nicht bezahlbaren Preis.
Was bleibt ist hin und wieder ein leiser Wunsch danach, dieses Puzzle doch mal jemanden legen zu lassen, denn nicht mal sie selbst hat es bisher vollständig gelegt. Sie hat angefangen und die Teile wieder in die Kiste gepackt. Denn wer hat heute schon die Zeit dafür. Nein. Diese einhundert Teile reichen völlig aus, es ist schnell gelegt und nicht allzu kostspielig. Und gerade genug, um ein wenig Grauen erkennen zu können, gerade ausreichend, um nicht selbst daran zu erblinden. Dennoch trägt sie weiterhin dieses Puzzle mit sich herum und behütet es als ihren wertvollsten Schatz.
Geheimnisse
habe ich viele
und mein Kopf ist
Fluch und Segen
–RAUS, ICH WILL RAUS!
Nein, halt den Rand
(du schwere Last)
bevor dich jemand
in mir fand
Kopf bleib aus
trinke Wein, ein Glas
zwei, drei, vier
halt den Rand
und schlaf mit mir
Kopflicht aus
–(ICH BIN WACH!)
nein, bleib liegen
ich bin schwach
© Amy Herzog
Woher kommt diese Stille
und sag mir was du schreibst
erzähl mir dein Geheimnis
komm sag warum du schweigst
Ich höre deine Stimme
doch das bist auch nicht du
komm sag mir was gemeint ist
dann hast du deine Ruh
© Amy Herzog