Leben mit Autismus

Autismus Erfahrung: Gastbeitrag meines Partners / zusammenleben mit einer autistischen Person

Kleines Vorwort von mir, der autistischen Person. 😉 Es folgt ein Beitrag meines Partners, den ich, man erkennt es gewiss am Schreibstil, nur sehr wenig bearbeitet habe. Nur mal hier und da n Komma verteilt, wo es mir hübsch erschien. Also keine Zensur. 😉 Komme mir ein bisschen vor, wie ein Monster. Aber n liebenswertes. Ich hab mich jedenfalls lieb, ha! Ich verlinke seinen Blog HIER, damit ihr ihn stalken oder persönlich bemitleiden könnt, wenn ihr wollt. Scherz. Nun zitiere ich noch Eric Cartman: „Ich habe die Regeln nicht gemacht, ich habe sie mir lediglich ausgedacht.“ und überlasse das Feld:


Zu Anfang weiß ich nicht, was ich schreiben soll, bzw. wie ich beginnen soll, wobei mir vorher zig Gedanken und Begebenheiten im Kopf herum geschwirrt sind. Nun denn, fangen wir einfach mal an.

Leute meiner Generation (60er) denken automatisch beim Wort Autist/in an den Film „Rain man“ mit Dustin Hoffman, der Ende der 80er Jahre den Autismus erstmalig weiten Teilen der Bevölkerung näher gebracht hat. Wobei natürlich nicht jeder Mensch der Autist ist automatisch eine Inselbegabung* hat, aber auch hier gibt es entsprechende Klischees.

Für jemanden, der bisher noch nie mit einem autistischen Menschen zu tun gehabt hat, geschweige denn mit jemand zusammen gelebt hat, kann das mitunter schon eine Art von Herausforderung sein, wobei ich dieses bitte grundsätzlich positiv verstanden haben möchte.

Es beginnt mit Kleinigkeiten bis hin zu Streitereien, die aufgrund von Missverständnissen oder einer jeweils anderen Sicht oder Bewertung des Vorgangs an sich, insbesondere am Anfang, häufig aufkommen können, was nicht ausschließt, dass auch nach Jahren des Zusammenlebens auf einmal ein Ereignis eintreten kann, was Ähnliches hervorruft.

Regel Nummer Eins im menschlichem Miteinander ist hier das Reden, das Zuhören, das Erklären und Regeln sind dazu da, um befolgt zu werden, denn nichts ist schwieriger für einen Menschen mit Autismus, wenn sich urplötzlich etwas ändert, etwas anderes ist und der Alltag anders verläuft. Sarkasmus und hintergründiger Humor sind lustig, aber wenn ich A sage und eigentlich B meine, dann noch mit C kokettiere, dann wird es sehr schwer mir zu folgen, also Finger weg davon. Das soll natürlich nicht heißen, dass jemand mit Autismus keinen Spaß versteht oder keinen Humor hat, aber direkt ist hier meist besser.

Im allgemeinen Gespräch passiert es mitunter, dass ich sage, dass ich etwas kenne oder etwas ähnlich empfinde oder erlebt habe, was dann vielleicht so aufgefasst werden kann, dass ich die Behinderung oder das Problem klein reden will, da ich es ja „kenne“. Das Problem hier ist, dass ich das Erlebte oder Gefühlte, das Erfahrene des autistisch veranlagten Menschen kaum nachvollziehen kann, daher versuche ich es mit angesprochenen Beispielen mir selbst bewusster werden zu lassen, oder meinem Partner damit zu zeigen, dass ich es im Ansatz begreife, was in keiner Weise eine Herabsetzung oder Verallgemeinerung sein soll, selbst wenn es der Partner in dem Moment so empfindet.

Daher wie oben bereits gesagt. Reden, Zuhören, Erklären, auch wenn sich natürlich in unserer Beziehung in den Jahren einiges einspielt und weniger Worte bedarf.

Es gibt Tage, da ist weniger mehr, daher ist es von Vorteil, in dem Gegenüber lesen zu können, sei es durch Körpersprache oder Ausdruck oder Wortwahl, selbst die Stimme an sich. Da werden keine Berührungen akzeptiert, da ist die Stimme zu laut, oder man ist am besten nicht da, denn selbst die körperliche Anwesenheit, auch in einem anderen Zimmer kann als störend, als Belastung empfunden werden. An diesen Tagen kann es Dir so vorkommen, als würdest Du in einem Minenfeld wandeln und wehe alles steht nicht an seinem gewohnten Platz oder es geschieht etwas Unvorhergesehenes, selbst wenn Du nichts dafür kannst. Dann ist Rot nicht Rot sondern Schwarz und Schwarz ist trotzdem zwischendurch falsch.

Manchmal bekommst Du etwas gesagt, das Dich verletzt, was Dein Gegenüber entweder nicht beabsichtigt hat, es als reine Tatsache ansieht (was mitunter auch so ist) und nicht verletzend gemeint hat oder die Aufnahme der Aussage bei Dir nicht mitbekommt, weil es ein Gefühl ist, welche DU empfindest, nicht Dein Partner. Mit der Zeit ist es zu verstehen, auch wenn es im Augenblick schmerzen kann.

Das hört sich vielleicht alles „schlimmer“ an, als es eigentlich ist, denn jeder von uns ist ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten , Eigenarten, Eigenheiten oder Wesensmerkmalen, die wir am Partner lieben und JA, auch nach dem Wegfall der sprichwörtlichen „Rosaroten Brille“. Denn Du bist nun mit einem Menschen zusammen, der von Grund auf ehrlich ist, der Dir immer die Wahrheit sagt, der Dir nichts verschweigt und Dich so annimmt wie Du bist und dem Du garantiert einhundert Prozent vertrauen kannst und der Dir treu ist.

In dem Zusammenhang fällt mir ein Satz ein, warum die Menschen selten dass sagen was sie meinen und drum herum reden oder lügen – wie einfacher und direkter und ehrlicher wäre die Welt?
(Mitunter dann grausam – meine Meinung, auch wenn ich die Ansicht teile)

Wie ich die Partnerschaft, die „Beziehung“ oder das Zusammenleben auch bezeichnen mag, wenn ich jemals die Liebe beschreiben soll, dann ist es das, die Person mit der ich lachen und weinen kann, die von sich selber behauptet nicht romantisch zu sein und es doch in vielen kleinen Dingen ist, der ich absolut vertraue, die sich an alltäglichen Dingen begeistern kann, die mich jeden Tag aufs Neue berührt, die mich auch nach Jahren immer wieder überrascht, von der Du lernen kannst und die der Liebe eine eigene Definition gegeben hat – ebenso tiefgründig wie auch einfach und tausendfach fühlbar:

Ich hab Dich lieb… ♥

*noch einige kleine Anmerkungen von der autistischen Person: Eine Inselbegabung haben die wenigsten Autist:innen und nicht jede:r mit Inselbegabung ist Autist:in. Autismus kann von Minder- bis Hochbegabung vorliegen. Autist:innen haben ein oder mehrere Spezialinteressen, das kann jedes Thema betreffen.

Autismus Erfahrung: In der anderen Welt

Viele Autist:innen spielen gern Videospiele oder begeben sich in irgendeine andere beliebige Welt, in der sie erfolgreich sein können. Und das macht Sinn. Denn als Autistin mache ich, wann immer ich aus meiner Welt in die Welt begebe, die ihr wohl als „echte“ Welt bezeichnen würdet, die Erfahrung, nicht hineinzupassen. Dementsprechend bleiben Erfolge aus. Und auch ein autistisches Gehirn reagiert positiv auf Erfolgserlebnisse.

In Videospielen wäre das zum Beispiel das Aufsteigen in Levels, das schaffen von schwierigen Stellen im Spiel. Nun, ich spiele nicht mehr so oft Videospiele. Aber auch bei Brettspielen oder Kartenspielen bin ich eine wahnsinnig schlechte Verliererin. Als Kind, Jugendliche endete ein Spiel, wenn ich verloren habe, stets in einem Wutausbruch. Inzwischen kann ich gut so tun, als ob ich verlieren könnte. Ich bin aber noch immer eine schlechte Gewinnerin.

Die eigene Welt ist nahezu perfekt eingerichtet und an die eigenen Bedürfnisse angepasst. Soziale Kontakte sind zwar wichtig, aber ich persönlich kann darauf weitestgehend verzichten. Eben weil alles da draußen irgendwie in einem sozialen Kontakt endet. Na, selbst einkaufen beinhaltet ein oder zwei ausgetauschte Worte.

In der eigenen Welt, oder eben in Videospielen, gibt es klare Regeln, es funktioniert dort so und nicht anders. Manches Videospiel könnte ich mit verbundenen Augen ohne Probleme durchspielen. Es funktioniert immer gleich. In dieser echten Welt verstehe ich gar nichts und das kann ich allenfalls gut vertuschen. Die Menschen darin verhalten sich wahnsinnig willkürlich.

Und als Autist hat man dann die niemals endende Aufgabe, im Kopf für jede Eventualität einen Plan zu haben. Das ist unfassbar anstrengend. Und nach außen wirkt man dann wieder meistens ganz normal. Was ebenfalls anstrengend ist. Menschen bewegen sich kreuz und quer, fühlen heute dies und morgen was ganz anderes. Dann ist wieder jemand sauer auf mich, weil ich irgendwas getan oder nicht getan habe. Und dann redet man mit jemandem, der sagt: „schau mir in die Augen, wenn ich mit dir rede.“ Und am Ende steht man als dummer Mensch da. Dabei funktioniert man einfach nur anders.

In dieser neurotypischen Welt kann ich mich sehr schwer selbst einschätzen. Da gehe ich generell vom Schlimmsten aus. Das ist kein schönes Gefühl. Ich verstehe nicht, was richtig oder falsch ist in der Kommunikation allgemein. Menschen senden Signale, die ich nicht verstehe. Und dann wieder ganz andere. (btw: ein eigens programmierter Roboter wär n toller Freund.)

Ein großer Teil dieser anderen Welt ist bei mir das Schreiben. Aber da hat jede/r Autist/in andere Vorlieben.

Menschen neigen in der Regel nicht dazu, Dinge ausführlich zu erklären, Dinge einfach zu sagen und schon gar nicht dazu, systematisch zu funktionieren. Sie sind eben willkürlich und meistens nicht 100% ehrlich. Es ist leichter in diese andere Welt zu gehen, statt in dieser „echten“ Welt, in der scheinbar nichts funktioniert. Und ich sage zwar, dass ich Menschen hasse, aber so richtig stimmt das nicht. Ich verstehe sie nur einfach meistens nicht, obwohl ich das gern würde. Und genauso hätte ich es manchmal gern, dass mich jemand wirklich begreift.

(Trotzdem habe ich die Schwächen ausgekundschaftet, falls mein Heimatplanet ein Raumschiff entsendet, das mich abholt. ;-))

Soziale Interaktionen sind also selten von Erfolg gekrönt. Und deshalb ist die eigene Welt so viel schöner. Nun, ob das so gesund ist? Ja und nein. Es kommt drauf an. Denn manchmal muss man in die „echte“ Welt, man muss dort funktionieren. Bei den einen klappt das besser, bei den anderen schlechter. Als jemand, der extrem viel in der eigenen Welt ist kann ich aber sagen, es ist nicht immer schön, dort sein zu müssen. Manchmal ist es einfach nur leichter – erfolgreicher. Für mich ist meine Welt eine echte Welt, die Welt da draußen gleicht eher einem Haufen von Falschheiten, einem Kasperletheater. Was anderes ist mir jedenfalls noch nicht langfristig begegnet.

Aber ich sehne mich zumindest nach dieser echten Welt, die beständig funktioniert (im Bezug auf Menschen und alles was einen Menschen ausmacht) und eine Sprache spricht, die ich verstehe. Ich könnte mir aber auch ein fliegendes Spaghettimonster wünschen. Ist ja quasi das Selbe. 😉

Autismus Erfahrung: Kurzfilm(e) zur autistischen Wahrnehmung

Ich richte diesen Beitrag vor allem an Menschen, die nicht autistisch sind. Ich halte es sehr einfach und kurz, ihr müsst nicht lesen, nur zuschauen. Es handelt sich um drei sehr kurze Kurzfilme. Ich küsse eure Herzen schon, wenn ihr nur ein Video anschaut. Wenn kurz hingeschaut wird. Wenn es nicht egal ist. Denn genau das ist oft das Gefühl. Egal zu sein.

Hier finde ich das Ende sehr einfühlsam. Die Wahrnehmung ist hier aber auch mit am besten dargestellt.
Hier kann man sehr gut sehen, weshalb so oft gesagt wird: „du siehst ja gar nicht autistisch aus“. Dabei ist es so unglaublich anstrengend, einen Tag, jeden Tag, irgendwie herumzukriegen. Autisten haben übrigens ein erhöhtes Risiko (6x so hoch) Suizidgedanken zu entwickeln.

Autisten sind nicht schlecht erzogen. Es ist einfach nur alles zu viel.

Ich brauche keine sozialen Kontakte. Ich bin viel glücklicher ohne. Bin glücklich in meiner Welt. Und genau das finde ich sehr traurig. Ich wäre gern sicher und zufrieden in der Welt da draußen.

Autismus Erfahrung: zum verzweifeln

Ich verzweifle ziemlich an der Kommunikation mit anderen Menschen. Genauer geht es mir hier um die Menge und zweitrangig auch um den Inhalt. Es ist mir noch nie passiert, obwohl ich grundsätzlich darauf hinweise, dass man mir sagt, wann ich zu viel oder zu wenig rede/erzähle/schreibe. (Nur das ich ständig ins Wort falle oder Menschen nicht ausreden lasse, das wird mir ab und zu gesagt) Und für mich da auf ein angemessenes Maß zu kommen, ist nahezu unmöglich, denn jeder Mensch definiert dieses „normal“ für sich anders. Nun kommunizieren die Menschen das aber nicht, nein, ich sollte das intuitiv wissen. Einen Scheiß weiß ich. Ja, mich macht das wütend. Weil es so leicht wäre, diese Barriere etwas zu erleichtern, indem man mir sagt, wie die Kommunikation angenehm empfunden wird.

Nun arbeite ich gerade daran, keine Fragen zu beantworten, wenn danach nicht gefragt wurde. Sprich: frei erzählen. Ich merke aber, dass auch das nicht gut zu sein scheint und es wirkt wohl desinteressiert, wenn man nicht frei erzählt (oder auch auf Fragen nur knapp antwortet). Dann ist man wütend (oder irgendwas) auf mich, obwohl ich gar nicht weiß, was ich überhaupt mache. Diese Direktheit/Ehrlichkeit ist aber auch nicht gut, selbst wenn ich sie versuche so emphatisch wie möglich zu verpacken. Da verstricke ich mich in Gedanken, zerdenke jedes Wort mehrfach und das, was dann dabei herauskommt, scheint auch oft falsch zu sein.

Ich bin im Grunde an einem Punkt, an dem ich gar nicht mehr mag, mit Menschen zu reden, weil man es ihnen ohnehin nicht recht machen kann. Was zu viel oder zu wenig ist begreife ich nicht. ‚Sag mir einfach was du hören willst, dann sage ich es dir.‘ Das scheint mir die leichteste Variante zu sein. Die ist aber auch nicht gut. Außerdem habe ich darauf keine Lust. Es kann doch nicht so schwer sein, direkt zu kommunizieren, was einem nicht passt. Das vermeidet Missverständnisse und man kann einen Mittelweg finden, den beide Kommunikationspartner gut finden (oder eben nicht).

Zweitrangig kommt dann noch zu viel oder zu wenig Information hinzu. Seien es nun persönliche oder nicht persönliche. Fragen werden nur extrem selten präzise gestellt und ich weiß kaum, was ich antworten soll. Das ist wie die Frage „wie geht’s dir?“ Ich kann sagen „gut“, oder einen zweistündigen Monolog halten.

Was aber auch noch etwas ist, das mich wütend stimmt. Menschen sind oftmals so verlogene Viecher. Sie erzählen keine Wahrheit und wollen keine Wahrheit hören. Wozu dann überhaupt reden? Ja, ich bin wirklich an einem Punkt, an dem ich mit niemandem mehr reden will, dieses ganze zwischenmenschliche ist das Kraftraubendste überhaupt. Ganz egal wie viel ich darüber lese und stets versuche korrekt (UND in meinem Sinne) zu reagieren, am Ende bleibt es individuell und ich mache gefühlt alles falsch. Den Quatsch kann ich mir sparen.

Autismus Erfahrung: Roomtour

Der Titel ist sowohl zutreffend, als auch irreführend. Ich zeige euch nicht die Räumlichkeiten, in denen ich lebe, sondern die Räumlichkeiten, die in mir leben, worin ich lebe. Diese Idee finde ich sowohl spannend, denn ich habe Gelegenheit, selbst mal genauer hinzuschauen, als auch bereits im Vorfeld frustrierend, weil ich weiß, dass ich es unmöglich schaffen kann, alles zu zeigen, bzw. in diesem Fall zu beschreiben. Hab da oben nämlich keine Kamera. Darüber hinaus mag ich es überhaupt nicht, Menschen, mit Ausnahme von mir, dort oben durchlatschen zu lassen. Daher bitte ich euch die Handys auszuschalten, die Schuhe auszuziehen und in die bereitgestellten flauschigen Häschenpantoffel zu steigen. Und nicht reden, leiser atmen und vor allem nichts anfassen!

Durch eine große, schwere, alte Holztür gelangt ihr in den Flur, einen unendlich langen Flur, links und rechts an den Wänden hängen alte Gemälde, keine wertvollen, irgendwer hatte sie weggeworfen und ich habe sie vom Sperrmüll gerettet. Schwache Flammen von Kerzen an den Wänden sorgen gerade so eben für ausreichend Licht, um euch angemessen begrüßen zu können. In gleichbleibenden Abständen führen Türen in meine zahlreichen Zimmer. Dieser Flur hat kein richtiges Ende, was wie ein Ende erscheint ist nur die Dunkelheit, die sich von euch entfernt, je näher ihr dieser kommt. Beachtet nicht das kleine süß-lächelnde Mädchen mit engelsgleichem Gesicht und goldenen Löckchen im weißen Nachthemd und einem großen Fleischermesser in der Hand. Sie wird euch höchstwahrscheinlich nichts tun, sie summt nur die Tetris Melodie.

Wir gehen vorbei in den ersten Raum. Er ist der größte von allen und der, der mir am wenigsten bedeutet. In ihm ist es laut und schrill, skurril und alles redet in verschiedenen Sprachen durcheinander. Er speichert jeden Tag, in jeder Sekunde alles, was mich umgibt, überall fliegt nutzloses Zeug in der Gegend herum, Notizzettel regnen von der Decke, Garfield tanzt zu „Hey Mama“ und schmeißt alles um, in der Ecke sitzt Hannibal Lecter und bereitet sich in tiefer Entspannung seine Leibspeise zu. Im Hintergrund laufen die Top 1.000 schlechtesten Lieder, dessen Texte ich aus irgendeinem Grund auswendig mitsinge…“Maschendrahtzaun in the morning“ (nur damit ihr auch etwas davon habt). Dieser Raum ist schrill, er glitzert ohne System, er ist laut und unordentlich, geradezu verdreckt mit dem Müll der ganzen Welt. Schlechte Nachrichten stapeln sich entlang der Wände bis an die Decke, auch sie verschwindet im dunkeln ohne Ende. Für dieses grenzenlos-gnadenlose Messi-Erlebnis sollte ich Eintritt verlangen. Wer jedoch auf einen übriggebliebenen Legostein tritt und stürzt, der braucht nicht zu zahlen…mein Lachkrampf ist ausreichend.

Jeder darf sich nun einen der kleinen Äffchen mit Becken greifen und mitnehmen. Wie ihr seht habe ich genug davon. Und nach der überwältigenden, Luft-raubenden, ungefilterten Reizüberflutung habt ihr ein Souvenir verdient. Ach, und ich hoffe ihr stellt euch das ganze im Stil von MTV Cribs vor…würde mich dann fancy und important fühlen. Bitte keine Zwischenfragen nach einem Getränk, einer Toilette oder einem Sitzplatz. Solche Dinge gibt’s hier nicht. Naja, einen Stuhl gibt es vielleicht. Geht einfach in den eben grob gesehenen Raum zurück, irgendwo müsste da ne verrückte Olle sitzen, die den ganzen Tag TikTok Videos guckt und dabei hektisch herumzappelt. Manche verfolgen ja das Motto: Lieber schlecht gesessen, als gut gestanden. Die Tour geht trotzdem weiter.

Ein wenig den Flur hinunter wird hart gearbeitet. Fließbänder laufen den ganzen Tag, um sie herum kaum zählbare Mitarbeiter, ein rennen und treiben und kein freier Tag in Sicht. Wer sich ihnen anschließen möchte muss produktiv sein und das 24/7. Das Arbeitsschutzgesetz kennt hier zum Glück niemand. Aufregend ist anders, ich weiß, in all der Hektik herrscht Monotonie. Also weiter, im Nächsten Raum müssen wir sehr leise sein! Den Zustand des Raumes kann ich vor dem betreten nie so richtig einschätzen. Er ist ebenfalls riesig und scheint ungeordnet, überall liegen Zettel herum, aber sollte die geschundene Seele darin in guter Verfassung sein, könnt ihr sie ansprechen, doch mit euch reden wird sie niemals. Noch nie hat sie ihr Schweigen gebrochen. Es duftet nach Liebe, nach Sehnsucht, nach Kummer und amouröse Gedanken schweben an der Decke. In den Ecken tun sich finstere Abgründe auf und an der Bar gibt es Cocktails mit Schirmchen und Blut. Manchmal hört man diese Seele atmen, trotz der stickigen Luft, immer dann, wenn sie von einer Muse geküsst wird, sie durchströmt, mit ihr tanzt, sie streichelt und einen weiteren Kratzer hinterlässt. Ganz kurz duftet es dann nach Glückseligkeit und ein weiterer Zettel ist zum abtippen bereit. Den Teil erledige ich dann…irgendetwas muss ich ja auch tun, zumindest wirke ich dann so beschäftigt. Aber kommt weiter, die Seele beginnt zu schluchzen und ich möchte nicht ertrinken.

Vor dem Nächsten Raum braucht ihr keine Angst zu haben, nur weil ein Skelett vor der Tür steht. Ihr könnt es gern betrachten, mir jedoch ist es egal. Solltet ihr euch für Humanmedizin interessieren, dann kommt gern mit herein. Keine Sorge, die offene Leiche ist fiktiv und fast vollständig. Die Leber fehlt…gewiss war Lecter wieder hier. Nun ja, egal. Hier drin befindet sich mein wertvollster Besitz. Die unvollständige Geschichte bahnbrechender Erfindungen und Entdeckungen von Apparaturen und Medikamenten, die uns bestenfalls das Leben etwas verlängern. Bücherweise Anatomie, Physiologie und Pathologie, die ich seit der Kindheit aufsauge. Ein kleines Bisschen Psychologie ist wohl auch irgendwo dazwischen. Nur das Skelett steht halt draußen und begnügt sich mit dem Nötigsten. Also weiter.

Es werden keine Raumanzüge benötigt und trotzdem können wir nach den Sternen greifen, durch Galaxien schweben und schwarze Löcher aus nächster Nähe vom Ereignishorizont aus betrachten. Wem die Lichtjahre zu weit entfernt sind, der möge sich auf den Boden setzen und nach einer beliebigen Doku fragen, ich erzähle sie euch. Wem mein Gerede auf den Keks geht, der greife nach meiner Zeitschriften-Sammlung, bitte vorsichtig, die kosten um die fünfzehn Euro das Stück, ich will keine Eselsohren sehen. Die Suche nach meinem Heimatplaneten wird vermutlich bis in die Ewigkeit dauern.

Im Nächsten Raum bleibt ihr am besten dicht hinter mir. Die Zombies sind schnell und wie man sich denken kann, sind die recht bissig. Das hier ist keine Einbildung, es ist Realität! Na ja, zumindest ist mein Plan für eine Realität mit Zombies konzipiert. Von Werbung bzgl. „Zuflucht“ möchte ich absehen. Mein Plan benötigt zwar einige andere Menschen, aber ich bin sicher, die kommen auch so. Ich möchte so wenig wie möglich von den bösen Lebenden anziehen. Die guten Übriggebliebenen dürfen eintreten. Hier ist genug Platz und es gibt viel Arbeit. Und ihr seid ja gerade auch da. Und wenn das hier fertig ist, da uns die Besorgung benötigter Dinge leicht erschwert wird, wird es eine Weile dauern, aber dann haben wir Strom aus Solarenergie, wir bekommen Wasser und stellen unsere Nahrung selbst her. Denn irgendwann wird es nichts mehr zum plündern geben. Daher liegt der Fokus von Anfang an auf der Selbstversorgung. Das Schwierigste war das Waffenproblem, ist aber gelöst. Alles andere war schnell zu erlernen. Nun, das reicht, ist schließlich mein Plan, davon verrate ich nichts. Von dieser Welt freue ich mich über jeden luziden Traum. Aber ich verstehe schon, schnell wieder raus hier. Ist ja auch nur so für den sehr unwahrscheinlichen Fall.

Beim rausgehen bitte die plüschigen Häschenpantoffel austauschen und die mit zermatschtem Zombiehirn in den Müllsack, danke.

Nun, die vor uns liegenden Zimmer sind nicht allzu groß. Darin sind Persönlichkeiten, die mich interessieren…die meisten sind schon lange tot. Sehr viel Geschichte, allgemeines Geschichtswissen, interessante fun facts. Geschichte der schwarzen Menschen, Sklaverei, Kolonialismus, NS-Zeit, ein wenig Mittelalter, und worüber ich noch so ständig stolpere. Halten wir es hier kurz, es sind halt ein paar Bibliotheken.

Die übrigen Raume sehen nicht mehr allzu spannend aus. Decken hohe Schränke, schmale Gänge, alles voller kategorisierter Akten, randvoll mit den Informationen, die meine Arbeiter für wichtig befinden, auf ewig archiviert. Bitte nur nichts anfassen oder gar austauschen, das führt zu nem Kurzschluss im System. Und immer bei der Gruppe bleiben, das hier ist ein Labyrinth. Ich führe euch da durch und hoffe, ihr könnt in den Pantoffeln wandern. Die Zeit können wir nutzen um zu quatschen. Ich rede und ihr hört zu. Diese kleine Führung fiel mir alles andere als leicht, wenn man bedenkt, dass ich euch gerade mal einen winzigen Teil der Oberfläche gezeigt habe und ich selbst alles auf einmal und immer zur selben Zeit sehe. (Das erklärt das Mädchen am Anfang). Während mein Messi-Raum immer größer wird, pausenlos. Ich glaube meinen Heimatplaneten erkenne ich daran, dass es dort keine Farben gibt, keinen Müll und der Austausch ist auf das Nötigste reduziert, es gibt nur eine kleine Auswahl an Nahrungsmitteln, alles ist einheitlich und eintönig. Ich habe keine Ahnung wie es in anderen Gehirnen aussieht und ich will es auch gar nicht mehr wissen, denn das würde auch nur wieder in meinen Akten landen. Um es mit Murtaugh zu sagen: „Ich bin zu alt für diesen Scheiß“.

Manchmal wünsche ich mir, die richtige Verbindung zu finden, die im autistischen Hirn falsch verkabelt wurde (kann ich meiner Mutter wohl die Schuld dafür geben?) Will nicht sagen, dass es in anderen autistischen Hirnen auch so aussieht, bzw. wie in diesem Fall ein kleiner Teil der Oberfläche, das hier ist eben meine Beschreibung. Und inzwischen bin ich reichlich müde, daher bitte ich euch, eure Souvenirs einzustecken, die Pantoffel dürft ihr auch behalten. Normalerweise lese ich die Texte noch mal durch, aber dieses mal ist mir nicht danach, von daher dürfen Unstimmigkeiten und Fehler auch behalten werden. Wobei ich mir schon ein wenig wünsche, dass niemand bis zum Schluss gelesen hat. Denn obwohl es nur ein bisschen Oberfläche war, ist das Gefühl von nackt mitten am Tag im Einkaufszentrum stehen definitiv da. Egal, da vorne seht ihr das kleine Mädchen…geht einfach wortlos daran vorbei und schließt die Tür, wenn ihr draußen seid. Auf nimmer wiedersehen, also hier oben.