Jung

Wölfin

Junge Wölfin schläft
von jeher
tief im Traum
tanzend mit Geliebtem
Tod reißt, zerrt, lehrt
das Lieben, Sex und Blut
jung schleppend, stammelt
sammelt, trinkt vom fahlen Nichts
vermag sie zu wecken
kann sich trunken
voll Sehnen die Lippen lecken
Kopf im Wahn der Stille
Lebenswille kratzt
an deiner Tür rufen gebrochen
nackte Knochen kochen
im eigenen Saft

©  Amy Herzog

gute Nacht

Es ist dunkel, ruhig, endlich Nacht, endlich nackt. Aus der Ferne tönen die Autos der suchenden, der flüchtenden und der ankommenden Menschen. Klingt wie Meeresrauschen direkt unter deinem Fenster, in einer Flasche voll betäubender Substanz, einem leeren Blatt Papier und dem Flimmern deines Bildschirms. Und wieder atmen. Schon wieder atmen. Eine Kerze schenkt dir die Wärme, in der du dich so geborgen fühlst. Die Illusion schluckst du runter, ertränkst sie. Schwitzt und blutest auf dein Papier, denkst an Wünsche, gedenkst der Träume, mit einem Kuss an jedes deiner Geheimnisse. Für jedes Wort die passende Verkleidung. Buntes Treiben in deinem Kopf und Karneval in deinem Herzen. Selbst die Schmerzen tanzen mit. Alter Mann wird wieder jung. Finger gleiten über deine Tastatur, erst langsam, behutsam, dann immer schneller. Du willst schweben, schreibst darüber und schwebst. Du lebst. Legst alles ab, nichts nimmst du mit, was so schwer auf deinen Schultern lastet. Frei, endlich frei. Raum und Zeit verbrennen in einer handvoll Staub. Im Takt deiner tickenden Uhr steigst du höher, immer höher. Ersehnst diesen kurzen Moment, in dem fallen wie das fliegen der Vögel ist.

Du bemerkst nicht mal, dass es hell wird. Du hörst aber die Vögel zwitschern und plötzlich hörst du auf zu schreiben. Hörst ihnen zu und kannst den Liedern lauschen, die dir weh tun. Den Duft deines Lieblingsparfums auf der leeren Bettseite, die tiefe Vertrautheit. Du hörst klimperndes Geschirr in deiner Küche und das Summen deiner Kaffeemaschine. Dann näherkommende leise Schritte. Und den Duft von frischen Brötchen am Morgen mit einer Tasse voll Liebe über deinem Bett. Wie du als Kind an Weihnachten gelächelt hast, so lächelst du gerade. Und du windest dich in dem Moment, der dich für immer fest umarmt. Aus der Ferne bellt ein Hund. Dabei bist du doch ein Katzen-Mensch. Schlägst die Augen auf, dein Bildschirm flimmert noch immer kaltes Licht. Du liest in deiner Seele und blickst tief in die sonst so verborgene Wahrheit deiner Existenz. Mit zeilenlangem Herzschlag durch die Nacht, wünscht du dir dein Ende. Aber der Morgen ist da, die Flasche leer, wankst zum Spiegel und kannst wie immer keinen Blick hinein wagen. Kramst deine Maske aus der obersten Schublade und lebst dich glücklich durch den Tag. Niemand sagt dir guten Morgen, niemand „richtiges“. Schaltest aber deinen Bildschirm noch aus bevor du deinen Koffer nimmst und gehst. „Bis heute Abend“, sagst du, wohl wissend, dass er dich wieder zum Atmen zwingen wird.