Neurodivers

Autismus Erfahrung: Bissl Plauderei und der Uncanny Valley Effect

Kommt jetzt nicht viel, weil mir dafür die Konzentration fehlt. Trotzdem interessant für jeden, der Näheres recherchieren möchte.

Bin den meisten Menschen, die ich kennenlerne, nicht sympathisch. Einige haben sogar Angst geäußert. Na, ich bin zwar Irre, aber im Grunde auf ne liebenswerte Art. Zumindest hab ich noch niemandem etwas getan. Gedanken und böse Flüche zählen nicht, oder?

Nun, es gibt ne einfache Erklärung dafür. Das liegt am Uncanny Valley Effect. Eine Bezeichnung, die aus der Robotik stammt, sich aber wunderbar auf neurodiverse Personen, Autist:innen anwenden lässt. Weiteres dazu lässt sich im ominösen Internet nachlesen. Die Kurzfassung ist, dass es dabei um möglichst real wirkende Roboter oder auch animierte Figuren aus Filmen & Games geht. Menschlich wirken.

Dann kommt ein Autist mit gar keiner oder der falschen und gestellten/maskierten Mimik daher und ist eben ein solch menschenähnlicher Roboter. Naja, nicht wirklich, selbst wenn es sich oft so anfühlt. Aber ich bin schon ein Mensch. Ein Mensch mit Gefühlen und der Unfähigkeit, diese zu verbalisieren/in der Körpersprache zu zeigen, wie es neurotypische Menschen machen. Nett ausgedrückt könnte man auch sagen, dass ich gelegentlich hölzern wirke. Desinteressiert, ablehnend, in mich gekehrt. Und wie manche ebenfalls denken – dumm.

Dabei ist es eigentlich ganz leicht. Auf gezielte Fragen kann ich gut antworten. Diese Fragen zu stellen ist eher schwer. Als kleines Beispiel werde ich in letzter Zeit sehr oft gefragt, ob ich meinen Partner lieben würde. Nun, die Frage ist nahezu unmöglich zu beantworten. Denn wer diese Frage stellt, definiert Liebe höchstwahrscheinlich anders als ich es empfinde. Und wenn ich mit ja antworten würde, dann würde mein/e Gesprächspartner/in diese Information mit seinem/ihrem Verständnis von Liebe verknüpfen. Besser wäre die Frage „wie liebst du deinen Partner“ oder „wie zeigst du deinem Partner deine Liebe“.

Aber zurück zum Thema. Dieser Effekt sorgt dafür, dass man auf nicht autistische Menschen gefährlich, angsteinflößend, gruselig, etc. wirkt. Das ist nicht näher zu definieren. Es ist einfach ein Gefühl, ein Unbehagen. Das – gepaart mit den Einschränkungen in der Kommunikation sorgt dafür, dass man einsam krepieren wird. Und wenn das nicht genügt, schreckt mein Humor ja noch ab. Ja, das mit dem einsam krepieren war ein Witz. Aber ein Witz, in dem durchaus ein Funken Wahrheit steckt. Es ist eben nicht einfach Menschen zu treffen, die nicht nur über all das hinweg sehen, sondern einen dafür auch noch gern haben. Also nicht „ich mag dich trotzdem“, sondern „ich mag dich weil“

Ehrlich gesagt bin ich aber, obwohl ich ein Mensch bin, der niemals aufgibt, gerade ein Mensch, der das Aufgeben lernt. Verschlossener denn je und ziemlich kalt. Was das Roboter-Dings dann auch nicht besser macht. Na, also entweder liegt es am Uncanny Valley Effect oder ich bin einfach wirklich kacke. 😉

Autismus Erfahrung: Skurrile Spezialinteressen

Ja, solche gibt es auch. Häufig werden sie nicht als solche erkannt, weil es ebenso eine Vorliebe sein kann. Bei Autist:innen kann das jedoch reichlich ausufern. Natürlich gibt es auch nicht-autistische Menschen mit Sammelleidenschaft. 🙂

Zum Beispiel eine Farbe. Jeder hat wohl so seine Lieblingsfarben. Sollte es sich aber um ein Spezialinteresse handeln, trägt nahezu alles diese Farbe. Dinge werden gekauft, weil sie in dieser Farbe sind. Die Wohnung, die Kleidung, selbst die Haare werden in diese eine Farbe getaucht. Vom Duschgel, über den Toaster, bis hin zur Bettwäsche und über den Löffel. Alles muss diese Farbe beinhalten.

Auch das Sammeln von Dingen, ob nun Figuren, Streichholzschachteln oder Nagellacke. Man kann schließlich alles sammeln, nicht nur sinnvolles/lehrreiches.

Bei mir waren es schon einige Dinge im Laufe meines Lebens. Zuletzt habe ich mich von meiner Glubschiesammlung getrennt. Sehr schweren Herzens, denn sie mussten, bis auf wenige Ausnahmen, allesamt im Bett aufgereiht sein. Nun, ich habe nen Partner. Es wär wohl komisch gewesen, den Kerl zu entfernen, um die Glubschiesammlung zu erweitern. Ich habe also einen auf erwachsen gemacht und die Tierchen verkauft. Das Blut aus meinem Herzen fließt noch immer. Aber, wie das so ist, es gibt sinnvolleres.

Meine Eulen sind aber noch in jeder Ecke meiner Wohnung aufzufinden, in allen möglichen Formen und Farben. Eigentlich müsste ich mal alle zusammensuchen, aufreihen und fotografieren. Vielleicht mache ich das mal nachträglich. Bin jedoch ganz glücklich, wenn sie an ihren Plätzen bleiben. Ich kaufe zwar nur noch selten neue, aber trennen kann ich mich auch nicht.

Ich liebe darüber hinaus Übertöpfe. Solche, die nicht aussehen wie alle anderen. Und statt Blumen freue ich mich riesig über einen weiteren Kaktus. Aber auch diese Sammlung ist überschaubar, weil es mir eben gefallen muss. Meistens bekomme ich diese Dinge geschenkt.

Eine Sache wäre da noch…Die ist offengestanden schon etwas peinlich. Trotzdem teile ich sie mal, eigentlich wollte ich das nicht. Nun, ich habe ein Stofftier. Eine Ente. Sie ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation für mich, ich würde sie auch als Spezialinteresse bezeichnen. Dieses Tier hat inzwischen eine komplett eigene und extrem detaillierte Persönlichkeit und auch eine eigene Stimme. Selbstverständlich verstelle ich meine Stimme. Manchmal habe ich die Sorge, dass meine Stimme einfach so bleibt, so quietschig. Niemand würde mich noch ernst nehmen, so auf Helium. Für meine Arbeit ist sie allerdings praktisch. Wenn ein/e Bew. schlechte Laune hat, kann ich mit dieser Stimme die Stimmung direkt erhellen. 🙂

So etwas kommt bei Autist:innen häufiger vor, bzw. ist es mir schon häufig begegnet. Ja, es haben sich schon lange Gespräche ergeben, die die Stofftiere geführt haben.

Nun, da kann man jetzt denken, was man will. Garantiert bin ich aber irrer, als man es sich vorstellen kann. Dafür kann ich bei ner Wassermelone anklopfen, um den Reifegrad zu prüfen. Ha!

Nun, ich sammle auch noch andere (theoretisch sinnlose) Dinge, aber nicht viele und auch nicht allzu ausufernd. Ich bin wählerisch. 🙂

  • Als nächsten Beitrag würde ich gerne etwas über die Synästhesie (Link führt zum Wiki-Eintrag) schreiben. Ein paar wenige zusammengefasste Fakten, wie ich das gemerkt habe und was genau ich damit so machen kann (ich bin Synästhetikerin). Hat nichts mit Autismus zu tun, ist eher ein sinnloses Talent, trotzdem irgendwie spaßig. Dazu gerne mal eure (vor)Namen oder die Namen eurer Freunde etc. in die Kommentare schreiben. 🙂 Oder Lieblingsworte (Sprache egal), Zahlen (z.B. Geburtsdaten oder so) oder ein bestimmtes Lied. Das wäre ein wenig persönlicher. 🙂

Autismus Erfahrung: Gedanken, Gefühle, Handlungen und Absichten einschätzen

Vorweg möchte ich eine einfache Erklärung von Neurotypisch und Neurodivers anbringen.

Neurodiversität ist im Grunde alles, was von einer neurokognitiven Norm abweicht. Menschen mit (rezidivierender) Depression, mit Zwangsstörungen, Borderline, Bipolare Menschen, Hochbegabung, Synästhesie, Schizophrenie, Lernschwächen, AD(H)S und Autismus, und vieles mehr. Das Ganze ist ein riesiges Spektrum (natürlich nicht alles auf dem selben Spektrum)

Und neurotypisch ist eben das, was nicht von der Norm abweicht. Wenn man so will, ein netteres Wort für „normal“ (ein durchschnittlich funktionierendes Gehirn). Aber „normal“ ist ja das Gegenteil von „unnormal“ und das ist Ableismus. Gerade bei Einschränkungen und Behinderungen, die man nicht sehen kann, werden einem diese klein-geredet oder gar abgesprochen.

Das klassische Beispiel ist der Mensch im Rollstuhl: niemand sagt „na steh doch einfach auf“, anders herum wird gesagt, wenn der Mensch aus dem Rollstuhl aufsteht „wie, du kannst aufstehen/laufen?“ Beides nicht ok.

Zu einem Menschen mit Zwangsstörung sagt man aber auch nicht (als Beispiel) „dann kontrolliere doch einfach nicht ne Stunde lang, ob der Herd aus ist“, man sagt aber auch nicht „ach, hihi, da bin ich auch oft unsicher“ (das ist klein-reden von Problemen). Und es war noch keinem Menschen mit Depressionen eine Hilfe, wenn man ihm sagt „geh öfter spazieren, und lache auch mal öfter“. Genau so können Menschen die lachen Depressionen haben. Und so weiter.

Ja, das sind für einige Menschen nun vermutlich selbstverständliche Dinge, aber im Alltag merkt ein Betroffener, dass diese Dinge eben nicht selbstverständlich sind. An dieser Stelle kann sich jeder, ob Neurotypisch oder Neurodivers, ab und zu selbst reflektieren. Fehler sind nicht schlimm, sie so zu belassen schon.

In beiden Fällen sind Menschen individuell mit Stärken und Schwächen.

Nun aber zum eigentlichen Thema: Gedanken, Gefühle, Handlungen und Absichten (eines Anderen) einschätzen (können). Ein eher persönlicher Beitrag. Mit Triggerwarnung: Häusliche Gewalt

Aufgrund der allgemeinen Fremdsprache, von der Autist:innen mal mehr und mal weniger umgeben sind, (welche im gestrigen Thema „Kommunikation“ etwas behandelt wurde), ist es eingeschränkt, diese „gute Menschenkenntnis“ zu besitzen. Inzwischen, Aufgrund von Erfahrungen, besteht meine Menschenkenntnis aus einer Skepsis aus Prinzip. Das war aber nicht immer so, daher wühle ich ein wenig mehr in meiner Jugendzeit herum.

Wenn mich das durchgehende Mobbing in der Schulzeit eins gelehrt hat, dann so angepasst wie möglich zu sein. Das hat nicht so gut geklappt. Daher habe ich es später mit der Unsichtbarkeit versucht. Das habe ich inzwischen perfektioniert. Vor vielen Jahren ging das tatsächlich sogar schon mal so weit, dass mich das Einwohnermeldeamt nicht fand – nein, ich war nicht obdachlos. Ich musste ehemalige Adressen aus meinem Kopf kramen, (wir sind sehr oft umgezogen) an die ich mich kaum noch erinnern konnte. Hat dann aber geklappt. Aber zurück zum anpassen.

Ich erinnere mich, dass ich sehr oft in der Klasse saß, mich langweilte und dann die Personen beobachtete. Zwischenzeitlich war ich bekannt, als die gruselige Gedankenleserin. Das war aber nur ein kleiner Grund für das Mobbing. Denn abseits davon, hatte ich damals noch kein Problem damit, die Menschen einfach so anzusprechen. Und ich sprach ehrlich aus, was ich dachte. Ich fragte sie zum Beispiel, ob sie etwas bedrückt. Die Reaktionen darauf waren nicht positiv. Ich denke, dass ich einfach nur lernen wollte, wie ich die Mimik einordnen kann. Irgendwann ließ ich das bleiben bei diesen Personen. Ich beobachtete aber dennoch immer weiter. Und die Mädchen, die immer eine Freundin oder einen Freund bei sich hatten, diese Mädchen, auf die man gewartet hat, die, die interessant waren, sich interessant für alle anderen gemacht haben, die hatten immer einen Jungen an ihrer Seite. Es ging meist um die neuste Mode, (in dem Punkt habe ich aufgegeben, bevor ich begonnen habe) um die besten neuartigen Geräte, die zu der Zeit auf dem Markt waren (Nokia war noch beliebt und der Discman erfüllte seinen Zweck, sofern man regungslos dastand). Aber das Wichtigste waren die Jungs. Am besten jede Woche einen neuen. Von ein paar Ausnahmen mal abgesehen, die immer nur Jungs von außerhalb hatten, oder eine längere Beziehung, wo man sich dann gegenseitig mit ewiger Liebe zugesülzt hat. Letzteres wurde natürlich beneidet.

Irgendwann hatte ich dann auch einen Jungen von außerhalb und verbrachte meine Wochenenden dort. Und ich tat das, was erwartet wurde. Ging auf Partys, trank, rauchte, und darunter waren auch Dinge, die ich öffentlich gar nicht erwähnen mag. All das war „normal“ für mich. Ich war außerhalb, niemand wusste, dass ich anders war. Und viele Jahre war es ebenfalls normal für mich, seelische und körperliche Wunden hinter einem glücklichen Lächeln zu verstecken. Ich war Ende dreizehn/Anfang vierzehn. Aber ich konnte mich gelegentlich genauso interessant machen, wie die anderen Mädchen, wenn auch nur für kurze Momentaufnahmen.

Ich nahm an, dass Zwang und Gewalt hinter verschlossenen Türen, manchmal bis zur Bewusstlosigkeit etwas ist, was in einer Beziehung ganz normal ist. Und ebenso normal, diese bestmöglich vor allen zu verbergen, denn das taten die Anderen auch, so nahm ich es an. Niemand sprach darüber. Alles war immer toll, also war es das bei mir auch. Ich sah die Menschen immer nur händchenhaltend verliebt. Und so sah ich eben auch aus. Es war auch normal, mein Geld immer an diesen Jungen abzugeben und selbst nicht viel zu Essen. Es war normal, all das zu tun, was von mir erwartet wurde, was die anderen auch taten, oder womit ich sie vermeintlich beeindrucken konnte. Ob nun in der Schule (das klappte eher nicht), oder eben außerhalb, wo es meist gut klappte.

Als dieser Partner nach zwei Jahren endlich die Beziehung beendete, freute ich mich wie nie zuvor. Gelernt hatte ich leider nur das, was ich bis dahin eben gelernt hatte. Denn bei meinem Exmann, mit dem ich kurz darauf eine Beziehung einging, war es wohl noch schlimmer. Dass das nicht normal ist erfuhr ich erst, als ich bereits erwachsen war. Eine Sachbearbeiterin fragte mich nach meiner Ehe und wollte mich in ein Frauenhaus stecken – mehrfach. Sie war die erste Person, die mich gezielt fragte und die mir daraufhin sagte, dass das nicht normal ist und mir auch beantwortete, was genau nicht normal ist und wie es eigentlich sein sollte. Ich selbst habe diese geballte Normalität nie in Frage gestellt. Ich fragte mich allenfalls, weshalb andere Menschen das so erstrebenswert finden.

Damit schließe ich nicht aus, dass das auch nicht-autistischen Menschen passiert. Würde jedoch die Behauptung in den Raum werfen, dass das im allgemeinen nicht als „normal“ angesehen wird, sondern die Tatsache (zum Beispiel aufgrund von Emotionaler oder Finanzieller Abhängigkeit) eher verdrängt wird. Das macht es weder leichter/schwerer und auch nicht besser/schlechter. Aber hier geht es eben um meine autistische Wahrnehmung.

Nun, was im allgemeinen „Naiv“ genannt wurde, stellte sich als autistisch heraus. Inzwischen habe ich erfahren, dass häusliche Gewalt bei Autist:innen relativ häufig passiert. Bis heute empfinde ich das im Übrigen nicht als schlimm, denn es war ja normal. Am Ende war es sogar normal, sterben zu wollen.

Und auch heute habe ich noch Probleme, Menschen einzuschätzen. Fragen wie: was machst du, warum gehst du, wohin, was machst du da, warum machst du das, was fühlst du, etc…Ich glaube, wenn ich hier zu Hause jedes mal nen Euro bezahlen müsste, wenn ich das Frage oder gar hinterher laufe, um zu gucken, dann würde ich sehr schnell, sehr viel Geld ausgeben. Aber diese Fragen habe ich mir einfach angewöhnt, weil ich eben andernfalls überhaupt nicht einschätzen kann und dies dann mit großem Stress und Unsicherheit einhergeht.

Wie sich das im Alltag bemerkbar macht, kann ich kaum sagen, weil ich mich dazu viel zu selten in solche Situationen begebe. Damals wurde es wohl zum Teil sehr gefährlich, aber heute bin ich eben skeptisch. Halte Abstand, beobachte und muss nicht mehr dazu gehören.

EDIT: Nach dem Besprechen mit einer meiner Bezugspersonen komme ich zu der Entscheidung, hier die Kommentare auszustellen.

Autismus: Overload, Meltdown, Shutdown und die Löffel-Theorie

In diesem Beitrag geht es um Overload, Meltdown und Shutdown. Eigentlich hatte ich geplant, jedes Thema in einem eigenen Beitrag zu bearbeiten. Da diese aber oftmals im engen Zusammenhang zueinander stehen, kommt hier nun eine Zusammenfassung. Da sich im Internet viele dieser Erklärungen auf Kinder (manchmal auch nur auf männliche Kinder) beziehen (weil das Wissen über Autismus bei den meisten Menschen bei „Hans“ Asperger stehen geblieben ist), geht es hier speziell um Erwachsene (‚biologische‘ Männer UND Frauen). Natürlich kann sich das bei Kindern dennoch ähnlich äußern, dazu habe ich jedoch kaum etwas gelesen.

Wie immer gilt: Alles kann – nichts muss. Jeder ist individuell. Sicherlich habe ich im Folgenden auch nicht jeden Aspekt berücksichtigt, sonst würde daraus ein Buch werden. Es handelt sich also um einen groben Überblick.

Vorab würde ich gern etwas über die Löffel-Theorie von Christine Miserandino schreiben. Wem diese bekannt ist, kann den folgenden Absatz überspringen. Zur Geschichte reicht kurzes googeln.

Die Theorie besagt, dass gesunde Menschen an einem Tag unbegrenzt Löffel (die für Energie stehen) zur Verfügung haben. Chronisch Kranke bzw. Menschen mit Behinderung haben, je nach Behinderung/Ausprägung eine begrenzte Anzahl von Löffeln. In dieser Theorie wurden 12 Löffel genommen. Diese Löffel müssen sehr gut verplant werden, denn man „muss ja heutzutage ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft sein“. Ich bin also im Bett und ein neuer Tag startet:

  1. Löffel – Aufstehen
  2. Löffel – Ausziehen
  3. Löffel – Duschen
  4. Löffel – Abtrocknen
  5. Löffel – Kleidung auswählen
  6. Löffel – Anziehen
  7. Löffel – Haare machen
  8. Löffel – Aufräumtätigkeiten
  9. Löffel – Kaffee machen
  10. Löffel – Essen bereiten
  11. Löffel – Essen und trinken
  12. Löffel – Tasche für die Arbeit packen

Hab zwar keine Löffel mehr, muss trotzdem arbeiten. Und nun? Und was ist mit meinen Interessen? Und dem Haushalt? Einkaufen? Haustiere versorgen? Und trinken? Essen? Und, und, und… Und wenn die Routine gestört ist, oder der Schlaf von schlechter Qualität war, sind es nicht mal 12 Löffel. Ich denke, dass diese Theorie gut in das folgende Thema passt.

Overload: Reizüberflutung

Unsere Umgebung, und daher unser Inneres, ist ständigen Reizen ausgesetzt. Normalerweise werden Reize, die nicht wichtig sind, automatisch ausgeblendet. Und auch Reize, die man nicht so leicht ausblenden kann, wie zum Beispiel lautes Bohren, sehr kaltes Wetter, etc. werden in der Regel so verarbeitet, dass sie den Alltag nicht lange beeinträchtigen. Ich bewundere Menschen, die am Nachmittag noch die Energie haben, zu Kochen, sich mit Freunden zu beschäftigen, usw.

Menschen mit einer Reizfilterschwäche können wenig bis gar nichts ausblenden. Man stellt sich vor Auto zu fahren. Man ist konzentriert und kommt wie mit einem Tunnelblick plötzlich irgendwo an. Wenn aber keine Reize gefiltert werden sieht man: Strich, Strich, Strich, Baum, Baum, Vogel, Wolke, Wolke, Auto, Kennzeichen lesen, noch eins, noch eins, noch eins, fünfzig Meter links ist dieses, 50 Meter rechts jenes, bunte Schilder, Lichter, ein Graffiti, Müll, Müll, Müll, der eine Telefoniert, Bilder auf LKW’s, Regen, Sonne, ein Brummen, es ruckelt…Naja, und gefühlt tausend weitere Reize Das alles passiert gleichzeitig in jeder Sekunde. Irgendwo hat man auch noch Platz für eigene Gedanken, für Pläne, für Eventualitäten. Das bezieht sich auf jede Situation am Tag. Auf alle Sinneseindrücke! Dies bedeutet ständiger Stress.

Gerade beim hoch-funktionalem Autismus, werden daraus resultierende Probleme/Einschränkungen oftmals nicht ernst genommen. Dabei ist der einzige Unterschied zum niedrig-funktionalem, dass diese besser Maskieren können (was zusätzlich eine große Anstrengung erfordert). Ich halte nichts von der Kategorisierung hoch und niedrig. Der einen Gruppe wird Unterstützung verwehrt (weil Probleme nicht leicht sichtbar sind), der anderen die gezielte Förderung (weil Fähigkeiten nicht gesehen werden/die Menschen stark unterschätzt werden)

(mögliche) Symptome:

Das übliche wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Unwohlsein.

  • Chronischer Stress (geminderte Lebenserwartung)
  • Verlust der Sinne (zum Beispiel verschwommene Sicht oder Mutismus, …)
  • Wahrnehmungseinschränkung (Bedürfnisse wie Durst, Hunger, Schmerz, Toilette, Müdigkeit, Hitze/Kälte, etc. werden nicht oder nicht korrekt wahrgenommen)
  • Burn-Out, Agoraphobie, soziale Phobie, Depressionen, Panikstörung, und weitere psychische Erkrankungen

Wirklich helfen kann da nur eines: Rückzug.

  • Das ist in einigen Fällen nicht möglich. Daher gibt es noch diverse Hilfsmittel beim Stimming (da muss man herausfinden, was helfen könnte), Geräusch-unterdrückende Kopfhörer, Sonnenbrille…
  • Wenn es jedoch zum Äußersten kommt, dann gerät man in einen Meltdown.

Meltdown – Kernschmelze (nicht zu verwechseln mit einem Wutausbruch)

Während eines Meltdowns ist man in der Regel nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich für äußere Einflüsse. Die Umgebung und der Betroffene muss diese Situation aushalten. Der Körper entlädt sich schlagartig von angestauten Reizen. Die Anspannung geht über jedes Ziel hinaus. Dies äußert sich sehr unterschiedlich.

Weinen, schreien, schlagen, kratzen, boxen, etc.. Nur selten ist man anderen gegenüber aggressiv (zum Beispiel, wenn man den Betroffenen mit weiteren reizen belastet). Es wirkt wie ein Wutanfall oder ein hysterischer Anfall. Das ist es jedoch nicht. Der Betroffene denkt in diesem Moment nicht darüber nach, was ihm hilft. Die Handlungen sind Reflexartig. Die Dauer beschränkt sich in der Regel auf einige Minuten.

Trotzdem kann man in diesem Moment helfen! Reize reduzieren, autoaggressives Verhalten umleiten (Stoff zerreißen, weiche Gegenstände zum schlagen, etc.) In manchen Fällen kann man auch kurze Fragen stellen, manchmal können sich Betroffene noch ein wenig äußern. Man kann Anteil nehmen. Abstand halten und trotzdem da sein. Nicht auslachen oder anstarren. Auch kann es helfen, den Betroffenen sehr fest zu umarmen (ist jedoch mit Vorsicht zu genießen) Dabei muss möglichst viel Körperoberfläche umfasst werden. Das Nervensystem fährt dadurch herunter und der Betroffene entspannt sich wieder.

Darauf folgt häufig ein Shutdown – Abschalten (nicht zwangsläufig nach einem Meltdown, oftmals auch direkt nach dem Overload)

Der Betroffene ist dann oft nicht mehr ansprechbar und zieht sich zurück. Die Umwelt wird kaum bis gar nicht mehr wahrgenommen. Dabei spielt es keine Rolle, was an diesem Tag noch wichtig gewesen wäre. Man zieht sich komplett in sich zurück. Die Dauer ist hier deutlich länger von einigen Stunden bis hin zu einigen Wochen. Die Ausprägung ist wieder sehr unterschiedlich. Im schlimmsten Fall nehmen Betroffene kein Bedürfnis mehr wahr. Auch keine Schmerzreize. Sehr plump ausgedrückt könnte man sagen, dass Betroffene dabei, während sie in Urin und Kot liegend in einer Decke eingewickelt sind, verhungern und verdursten (können). Das wäre jedoch der schlimmste Fall und bedarf natürlich sofortiger Unterstützung. Die Reize sind auf ein Minimum zu reduzieren und die Person wird bei Bedarf mit trinken/essen versorgt, auf Bedürfnisse sollte geachtet werden, wenn die Versorgung nicht selbstständig erfolgt.

Meine Shutdown-Erfahrungen beziehen sich meist auf einige Stunden. Hilfreich ist es, wenn ich Essen und Trinken am Bett habe. Oftmals ist dies aber nicht mehr nötig, weil ich inzwischen sehr stark auf mich achte und diese Situation meist nur noch sehr abgeschwächt ein oder zwei Stunden anhält.

Autismus: Grenzen

Wenn ich mich über diverse Kanäle mit anderen Autist:innen austausche, komme ich immer wieder mit dem Thema ‚Grenzen‘ in Kontakt. Ob es die Grenze ist, etwas nicht zu können und es trotzdem tun zu müssen, weil es erwartet wird. Oder etwas tun oder zulassen zu müssen, obwohl man es nicht möchte (zum Beispiel gesellschaftliche Anlässe). Oder aber Routinen brechen zu müssen, weil man heutzutage schließlich spontan und flexibel zu sein hat. Oder man muss körperliche Berührungen zulassen, weil die andere Person das so möchte (und diese möchte man ggf. nicht enttäuschen) oder für die Person selbst ist es nicht schlimm (zum Beispiel Berührungen im Bus oder an der Supermarktkasse)

Autist:innen sind dann nicht selten sehr Reizüberflutet und melden sich mit verzweifelten Worten. „Ich habe wieder unangemessen reagiert“ „Mir wurde gesagt, dass ich übertreibe“ „Ich habe einfach mitgemacht, konnte es jedoch nicht gut und wurde deshalb ausgelacht“ Die Liste könnte lang sein und kann manchmal sogar darin enden, dass man sich selbst dafür hasst, dass man ist, wie man ist. Und wenn dieses Karussell sich über Jahre im Kreis dreht, können daraus Krankheiten entstehen, die vermeidbar gewesen wären. Ich selbst habe verschiedene Traumata und chronische Depressionen in fast 30 Jahren angesammelt, weil ich meine Grenzen nicht durchgesetzt habe.

Therapeutische Hilfe ist in diesen Fällen so selten, wie ein sechser im Lotto. Und fachgerechte Hilfe, auf Autismus spezalisiert, ist so selten, dass es mir allenfalls als Gerücht bekannt ist.

Während eines autistischen Burnouts war ich selbst auf Therapeuten-Suche. Und wie nicht anders zu erwarten: ich habe keinen gefunden. Und das, obwohl ich nicht gerade dörflich Lebe. Ich habe also in einem großen Umkreis gesucht und ungefähr 100 Therapeuten kontaktiert. Zum Gespräch eingeladen wurde ich von einem. Dieser war sehr nett und das Gespräch ist mir angenehm in Erinnerung geblieben. Leider hatte dieser nicht die Kapazitäten, die ich gebraucht hätte. Er konnte mir 10 Stunden anbieten. Wir waren uns einig, dass das nichts bringt. Von Autismus hatte er gar keine Ahnung. Das war für mich jedoch nicht schlimm, und auch keine Überraschung. Ich konnte ihm einiges erklären und er meinte zum Schluss, dass er dies sehr interessant findet und sich weiter belesen wird.

Das Gespräch war also gut, doch die Aussicht für mich natürlich schlecht.

Ich weiß nicht genau wann, aber irgendwann habe ich es aufgegeben. Selbst dieser dinglichkeits-Code war ein Witz. Dieser brachte mir eine akut-Stunde ein. Das Gespräch war nach einer viertel Stunde vorbei. Vom Gefühl her war das eher eine Lücke im Terminplan, die (finanziell gesehen) gefüllt werden sollte.

Meine Psychiaterin war dann…ach, da mag ich gar nichts drüber sagen. Ein mal im Monat habe ich da gesessen, ihr gesagt, dass es mir besser geht, mit den Pillen, die sie mir verschrieben hat. Und das wars. Die einzige Schwirigkeit bestand darin, die Beipackzettel auswendig zu lernen und immer genau zu wissen, wann ich wohl ein neues Rezept brauche von den Tabletten, die ich nicht genommen habe. Denn auch imaginäre Tabletten müssen weniger werden. Und die zahlreichen Nebenwirkungen sind selbstverständlich nach und nach verschwunden. Man, konnte ich eine Show abziehen.

Trotzdem war ich ohne fachliche Unterstützung nicht untätig. Und das Thema Grenzen spielt hier eine zentrale Rolle. Denn ich habe nie auf meine Grenzen Rücksicht genommen. Erst dann, wenn ich vor lauter Depressionen manchmal Monatelang nicht mehr aus dem Bett kam. Ich war schon so weit zu denken, dass das eben zu mir gehört und dass ich eben so bin. Aber das stimmte nicht. Natürlich habe ich diverse Traumata erlebt (darauf möchte ich im öffentlichen Raum nicht näher eingehen) und auch die Depressionen werden vermutlich nie gänzlich verschwinden. Es gibt immer Momente, in denen ich einfach zu viel Nachdenke. Aber es geht mir inzwischen deutlich besser! Und ein wichtiger Grund dafür ist, dass ich meine Grenzen kennengelernt habe und auch gelernt habe, diese umzusetzen.

Es gibt Menschen, denen kann man das direkt sagen. Es gibt aber auch Menschen, die die Grenzen lächerlich finden. (Zum Beispiel wenn man bei einer Feier eben nicht tanzen möchte) Für letztere kann ich die gute alte Ausrede empfehlen. Mal kurz aufs Klo, mit Übelkeit an die Luft, etc. Für andere Menschen mag das eine Kleinigkeit sein, für manch eine:n Autisten/Autistin bedeutet es, im Anschluss mit einem Overload oder einem Shutdown die nächsten Stunden verbringen zu müssen. Oder im schlimmsten Fall einem (nicht mehr zu unterdrückendem) Meltdown, womit man so ziemlich alle Blicke auf sich zieht.

(Zum Thema Meltdown, Shutdown und Overload wird es noch Beiträge geben)

Dann gibt es aber die wirklich wichtigen Grenzen. Und da ist es wichtig zu wissen, dass man es niemandem recht machen muss, ausser sich selbst. Man muss keine Berührungen ertragen, Gespräche führen, wenn andere sie führen wollen, einspringen, mehr Arbeiten, als es möglich ist. Und man muss auch nicht an privaten Veranstaltungen teilnehmen, wenn man genau weiß, dass die Aktivitäten dort nicht auf die Bedürfnisse angepasst werden. Man will auch nicht ständig mit einer Hinweis-Plakette herumlaufen, auf der steht, dass man autistisch ist. (Klappt eh nicht, hab’s versucht. Beachtet kein Mensch. Gebt also in dieser Sache kein Geld aus)

Ich habe gelernt zu sagen, wenn ich etwas nicht will. Und wenn man das erst mal gelernt hat, fällt einem auf, dass viele Menschen keine Grenzen respektieren. Aber dann werde ich lauter. Und wenn es sein muss, dann werde ich auch frech. Und nein, ich arbeite keine 40 Stunden Woche. Mein (jetziger)Arbeitgeber ist da auch sehr Rücksichtsvoll und geht auf meine Bedürfnisse ein, die die Behinderung mit sich bringt. Manchmal werde ich von Kolleg:innen noch gefragt, weshalb ich denn so und so arbeite, ob ich das wegen einem Stall voll Kinder machen würde (denn das könnten sie verstehen) Aber nein, ich habe kein Problem mehr damit zuzugeben, dass ich Grenzen habe. Ich tue das also nur für mich. (Witzigerweise habe ich diese seinerzeit sogar im Anschreiben benannt, um mir selbst den Gefallen zu tun. Welcher zukünftige Arbeitgeber liest nicht gern von Grenzen 😉 Nun ja, dieser war auf jeden Fall begeistert)

Auch mit meinem Körper muss ich nicht das machen oder zulassen, was andere von mir erwarten. Meine kleinen Routinen sind ebenfalls wichtig. Ich habe gelernt, für mich selbst einzustehen! Grenzen sind wichtig, davon hängt ab, ob die Psyche gesund oder wenigstens stabil ist, oder nicht. Und wenn andere Menschen das nicht verstehen, dann erkläre ich es gern. Und wenn sie es nicht verstehen wollen, dann halt nicht: Tschüss.

Und wenn du deine Grenzen überschreitest (ob autistisch oder nicht), weil du denkst, dass du das musst, dann gebe ich dir den Rat:

N‘ Scheiss musst du. Deine Grenzen und Bedürfnisse sind wichtig! Und über alles Weitere kann man reden.

Neurodivers

Eine Weile ist vergangen

Brotkrumen liegen am Rand

Nur zurück will ich nicht

Hier ist es doch schön

Wenn das Wasser fließt

Erkenne mich nicht wieder

Ich bin nicht mehr ich

Habe mich verloren

Mein Spiegelbild – eine Maske

Und das bin dann ich

Bin ich noch dahinten

Bin ich in mir verborgen

Ich wäre gerne ich

Nur wer kann verstehen

Fragen über Fragen

Nie wird es enden

Das Feuerwerk im Kopf

Nie wird es verstanden

Meine Sprache ist anders

Aber das bin doch ich

© Amy Herzog