Suizid

Abschiedsbrief

Triggerwarnung: Suizid*

Was ich in so einen Abschiedsbrief schreiben würde, in so einen unumkehrbaren, einen endgültigen? Nach zwanzig Jahren, die mich diese Frage schon beschäftigt, müsste ich das wissen. In dieser Zeit hätte ich sogar einige schreiben müssen, manch einer wäre sogar gerechtfertigt gewesen, wenn auch das Sterben so lang dauern kann und das tatsächliche tot sein manchmal nur von kurzer Dauer ist. Glück im Unglück, wenn man so will. Inzwischen denke ich das, ja. Nicht, weil ich mir darüber weniger Gedanken mache, vielmehr weil ich Organspenderin bin. Ein Selbstmord würde meine Organe vernichten. Nun, das bräuchte jedoch nicht in einem Abschiedsbrief stehen, denn Organe zu erhalten bedeutet weiterzuleben. Nur was würde ich nun in so einen Abschiedsbrief schreiben? Und an wen wäre er adressiert? Und warum? Ich sollte die Antworten kennen und es ist beinahe schändlich, sie nicht zu kennen. Möglicherweise…wen ich so liebe? Nun, was würden diese Menschen, die ich liebe, auf diesen Brief antworten? So eine Antwort habe ich tatsächlich mal erhalten, aber nicht auf einen Abschiedsbrief. Ein Beamter, der mich geradewegs in die Klapse fuhr meinte, wenn ich diese Menschen doch lieben würde, dann hätte ich sie angerufen, statt die allseits bekannte eins eins null. Ich musste widersprechen. Es war nicht die Liebe, die mich bei diesem letzten Mal davon abgehalten hatte, diesem Leben ein Ende zu setzen, denn an sie konnte ich weder denken, noch konnte ich sie empfinden. Es war etwas anderes, ein Sekundenbruchteil, der mich die eins eins null hatte wählen lassen. Ich spürte nichts weiter als tiefe Entspannung, als ich diese Nummer wählte. Die vollkommene Klarheit. Da war nichts mehr. Nicht mal mehr etwas, das mir hätte egal sein können. Der Beamte, nun, eigentlich waren es zwei, sie stellten leise Musik an. Ich schwieg. Sie redeten, aber ich hatte nichts mehr zu sagen. Ich war tatsächlich zu Ende, so viel mehr, als bei den Malen davor. Die Male, in denen ich mich nicht für den Notruf entschieden hatte. Wieso also bei diesem letzten Mal? Ich fragte den Beamten, der neben mir saß, nach einer Zigarette. Na ja, er rauchte nicht und irgendwie war er auch nicht auf meiner vollkommen leeren Welle. Aber der Fahrende hatte welche dabei. Er hielt an und stieg aus, öffnete meine Tür und hielt mir die geöffnete Schachtel entgegen. Der Andere schaute etwas verdutzt. Ich stieg aus und wir setzten uns an den Straßenrand. Der Andere blieb stehen und redete irgendwas über Funk. Der Fahrende, ich habe keine Ahnung wie die beiden hießen, redete mit mir. Er fragte mich, wie es denn nun weitergehen sollte. Und irgendwas war da zwischen der Leere. Ein kleiner Fleck auf der Klarheit. Eine Erinnerung an die andere Seite. Und die leise Musik. Außerdem mochte ich sein After Shave. Die meisten Männer riechen – na ja, so nach Junggeselle. Als hätten sie sich das Zeug unter der Dusche einfach über den Kopf gekippt, die ganze Flasche. Aber er nicht. Es duftete sehr dezent. Nun, erst mal in die Klapse. Die Leere betäuben mit noch mehr Leere in Tablettenform. Wenn die wissen, dass man sich umbringen will, bekommt man immerhin direkt das gute Zeug. Und wenn es gut läuft, lebt man nach zwei verschwundenen Tagen das Leben weiter. Aber zurück zur Frage. Ich denke meine Antwort lautet: gar nichts. Es wäre ein nie abgeschicktes leeres Blatt Papier. Ohne Briefkuvert, ohne Marke. Das ist die unumkehrbare Endgültigkeit. Jedes Wort in so einem Brief würde dieser widersprechen.

*Nein, ich hege keine Suizidgedanken/Absichten. Ist vermutlich wichtig zu erwähnen bei dem Text!

Ich möchte noch einen Tipp anhängen, falls jemand therapeutische Hilfe sucht, aber keinen niedergelassenen findet und man eben die üblichen Wege bereits ausgeschöpft hat. Ist ja ein recht großes Problem, diese Wartelisten, falls es überhaupt eine Liste gibt. Fragt bei einem „Ausbildungszentrum für Psychotherapie“ nach (einfach googeln, welches das Nächste ist). Dort kann man, sofern die freie Kapazität vorhanden ist, von einem Therapeuten in Ausbildung betreut werden, was dann vom Ausbilder überwacht wird.

In Gedanken..

Still bist du schwer mir im Herze verkeilt,
du Windhauch im Schweigen vorbei,
und wie du auch ewiglich schwerer verweilst,
bist irgendwann du an der Reih‘.

Nach Pfützen die Meere, so schwimmend dahin,
die Beine noch schwerer doch leicht,
gemeinsam wir suchen und denkend den Sinn,
die Seele daneben verbleicht.

Mein Herze zum Uhrwerk, es lahmet schon sehr,
die Zeiger den Abgrund im Blick,
das Herze mag schwimmen, doch all dieses Meer,
sinkt tiefer und schweigend zurück.

 

© Amy Herzog

Der rote Luftballon…

the_suicidal_optimist_by_schizophrenicsmile

Bildquelle

Ein Luftballon glänzt in der Sonne,
schwebt im Wind und schenkt Wonne,
prallgefüllt mit Luft im zarten Rot,
wünscht ich dennoch, es käme der Tod.

Schaue noch mal hoch zum Himmel,
fort vom Lärm und Menschengewimmel,
kommt denn der Tod hier her jemals,
so binde ich den Faden um den Hals.

Mache schnell ein Schleifchen drum,
bleibe dabei einfach nur stumm,
ein niemand kann den Faden sehen,
niemand bleibt einen Moment stehen.

Ein letztes Mal blicke ich ins Rot,
da vorn kommt zu mir schon der Tod,
hinab senkt sich mein ängstlicher Blick,
der Tod nimmt vom Faden ein Stück.

So nimmt er mich mit ganz nach oben,
den Luftballon kann man nicht loben,
gerade glänzte er noch so fein,
jetzt trägt er mich in Wolken rein.

Eine Träne fällt noch zum Boden,
verregnet all die vollen Straßen,
hätt‘ ich doch nur noch etwas gesagt,
der Luftballon, jetzt trägt er mich ins Grab.

© Amy Herzog

Überleben…

In eigenen Tränen ertrinken…

Keine Luft, keine Freude, kein Licht,

Keine Wärme, keine Menschen,

Einfach Nichts, nur der Wunsch

Nach Hoffnung auf ein Leben,

Versuchend in den Tränen

Zu überleben.

Wellenspiel…

Ein letztes spüren kalten Windes,
rhythmisch in des hohen Grases,
fegend durch mein langes Haar,
worunter einst noch Leben war.

Blickend in die weite Ferne,
sehend außer dunkler Leere,
des Nebels Undurchdringlichkeit,
der mir zeigt es ist jetzt Zeit.

An den Rand des Abgrunds schreiten,
die Augen weit geöffnet halten,
dort unten spielt das laute Spiel,
das Wellenspiel das letzte Ziel.

Mit einem Lächeln im Gesicht,
spüren wie das Herz zerbricht,
nur einen Schritt zum letzten Mal,
beendet dieser dann die Qual.

Im Fluge durch den weichen Nebel,
breiten sich die meinen Flügel,
machen sich bereit zu tauchen,
in kalten Wellen zu ertrinken.

Dunkel, kalt und ohne Luft,
Lichter sehend, niemand ruft,
schlafe ich nun langsam ein,
im Wellenspiel so ganz allein.

© Amy Herzog

Das letzte Gedicht…

Dröhnend tönende Laute,
durchfluten meine Hülle,
wie vom Menschen gewollt,
zerfällt die graue Welt.

Und mir wird nun gewahr,
so wie sie einst war,
ist sie dahingegangen,
von Schande überlaufen.

Die wunderschöne Dunkelheit,
befreit in die Ewigkeit,
mit dem letztem Gedicht,
schweife ich durch Licht.

Lebt wohl im Schein,
in des falschen Sein,
ziehe ich von dannen,
durch Gewässer und Flammen.

© Amy Herzog

Blut, unendlich viel Blut…

So kleiner Schritt.
Griff zum Skalpell.
Nur ein Schnitt.
Es Bahnen zieht.
Schneller fließt.
Wie tausend Flüsse.
Sich vereinen.
Zärtlich warm.
Dem Arm entlang.
Immer schneller.
Handrot gefüllt.
Durchnässt von Blut.
Sehnsucht erfüllt.
Dunkelrotes funken.
Unendlich viel.
Es hört nicht auf.
Gleich am Ziel.
Der Boden voll Tropfen.
Bilden mehr Pfützen.
Warte noch kurz.
Rauche eine Zigarette.
Nur eine Bitte
Hör nicht auf.
Blut, lauf aus.

© Amy Herzog