Sehnsucht
Der Morgen danach.

Verrutschten Lidschatten über Gefühle gemalt,
sie lächeln sich unter den verküssten Lippenstift.
Ein wenig Frage steht im kleinsten Raum: Ich.
Und der Wunsch nach dem Abend davor.
© Amy Herzog
sehnsucht / angst
Unzusammenhängend
Alle elf Minuten verliebt sich jemand über […]. Sie ist schneller. Sie muss schneller sein. Die „das war knapp“-Momente häufen sich. Vor dem überqueren einer Straße hat sie aufgehört nach links oder wenigstens nach rechts zu schauen.
⁃ wie hat es sich angefühlt über dich zu schreiben? Komplett eskaliert. Schon vor Sonnenaufgang.
Sie hat aufgehört Fragen zu stellen. Diese Gleichgültigkeit berührt sie tiefer, als jeder Schwanz. Nur wenn sie mal wieder ein Buch liest fragt sie sich, bei welchen Worten der Autor wohl nackt war, als er sie geschrieben hat. Beim lesen fühlen sie sich nackt an.
⁃ bei acht von zehn Worten bin ich nackt. Bei den übrigen töte ich etwas in mir.
Und dann wieder diese Massenpsychose. Der eine sagt, sie ist nicht schön, der andere sagt, sie ist nicht klug. Dabei ist sie einfach nur nicht Frau genug. Benimmt sich brav wie ein Mensch, der nicht weint und stattdessen eine raucht.
⁃ könnte ich mich heute selbst vergessen, schenkte ich dir meine Haut.
Alle elf Minuten schlägt ihr jemand auf den Kopf. Beim letzten Mal ist es durch ihre Kehle gerutscht und unzusammenhängend im Herz gelandet. Direkt zwischen Mittelfinger und ficken. [hier ein poetisches Happy End einfügen]
© Amy Herzog
nacht.tanz.anziehung
Der erste Wind
am Abend haucht mir ein
ich ziehe hin
du hältst mich an
ich verrückt
und du bist zu kaputt
lass uns über die Nähe tanzen
zusammenfestgedrückt
unter den Augen
zahlloser Glühwürmchen
© Amy Herzog
wolkenkuss
Mein lippenzarter Rosenkuss
deine Zunge hängt in fernen Weiten
die mein Mund nicht mehr erreichen kann
im Himmel tanzt mit tausend Sternen
jedes Wort am fremden Herz
ich sehe Funken, Blitz und Donnerschlag
unter deiner grauen Wolkenbank
lautes Niederschweigen
umkreist mich seit einer Ewigkeit
und wartet auf den Kuss
der Wort und Mund vereint
© Amy Herzog
fremd
müde im hellwachsein
hungrig nach großen gefühlen
lügen scheuermilch und drahtschwamm
über blankgezogene nerven
damit sich irgendwas in mir bewegt
halt den vortrag übers schweigen
schreibe wortlos leere seiten
schreien laut als leise
wie sich diese zwischenzeile legt
starre in die ferne
perspektive sucht nach wärme
in entfernten gedärmen
weil ich fremd geworden bin
© Amy Herzog
Skala eins bis schwer
Auf der Skala
von eins bis zehn
laufe ich hin und her
und finde die Metapher
eines arrhythmischen Klopfens
da ist Bedeutung in mir
Wahrheit im Wort
da ist Gefühl
schwer wie Meere
kann nicht vergessen
nur leugnen die weite See
schaffe Raum dafür
auf einer Skala
von eins bis schwer
laufe ich in diesem Ende
müde hin und her
© Amy Herzog
Der Tröster
Die einen stopfen sich mit Schokolade voll, die Anderen stürzen sich in ihre Arbeit, wieder Andere schauen einen traurigen Liebesfilm nach dem anderen, heulen Rotz und Wasser und die Übrigen betrinken sich, bis es vorbei ist. Sie bevorzugt das nächstbeste Bett eines schlappschwänzigen Langweilers. Nah, das klingt so abwertend. Sagen wir, sie bevorzugt das nächstbeste Bett eines Trösters, der sich eigentlich sogar sehr oft als total netter, ja nahezu rundum perfekter Typ entpuppt. Zu nett, zu gutaussehend, zu erfolgreich und dazu noch zu gut im Bett. Und dann geht er, als wäre das nicht alles schon mehr als genug, auch noch so achtsam und liebevoll mit ihrer zerbrochenen Seele um. Perfekt für die Zukunft. Nur nicht für ihre. Für sie ist er der perfekte Tröster, noch perfekter, als der Tröster davor. Dann geht man eben einen kleinen Weg gemeinsam. Und jedes mal denkt sie sich, eine andere Frau wird ein tolles Leben mit ihm führen, während sie sich auf ihr Magnetherz verlässt, das Arschlöcher magisch anzieht. Es ist immer ein noch größeres Arschloch, als das Arschloch davor. Ein perfekter innerer Tanz aus Distanz und Enthusiasmus. Ein auf und ab, hin- und hergerissen. Sie mag eben keine Schokolade und geweint hat sie schon lange nicht mehr. Nur denkt sie darüber auch nie abwertend, sie ist nie gelangweilt. Diese großen und immer größer werdenden Gefühle, die diese Arschlöcher auslösen, die sind es. Ja, selbst dann, wenn sie wieder im Bett des Nächsten Trösters aufwacht, hallen diese großen Gefühle noch lange nach, diese Sehnsucht und der Wunsch nach ein kleines bisschen Leben spüren. Und dann dieses luftschlossartige innere Verzehren, das dauerhaft an ihrem Herzen zieht. Immer stärker, wenn diese großen Gefühle nach und nach vom Tröster verschluckt werden, eines Tages doch noch dieses größte Arschloch von allen zu finden und endlich anzukommen.
Leere
ein Entgleiten auf der Eisbahn
voll von Verliebten
im Zauber des Weihnachtsmarktes
liege in zerbrechlicher Mitte
und sehe das buntflimmernde Licht
Vorträge wehen zwischen kahlen Bäumen
mein Schweigen aber sitzt so tief
wie der Schmerz
der mir im Treiben um mich
die Leere im Ich zeigt
© Amy Herzog
abschweifen
etwas, das nähe heißt
bleibt mir fern
in diesen fremden armen
drückt meine echtzeit
gegen die sollbruchstelle
meines staubigen sternums
du sagst: ich liebe dich
aber
ich bin mir fern
in deiner nähe
und weine nach innen
ich sage: ich liebe dich auch
[gedanken schweifen ab]
© Amy Herzog
bahnhof bei nacht
bahnhof in der nacht
niemand findet, niemand sucht
trunkenbold, der weise
singt von fernweh hinter kerzen
dies feuer aber leuchtet
mir die sehnsucht nach dem heim
unter kälte, unter schmerzen
sollt’s der nächste zug mir sein
kann nicht fühlen, nicht mehr sehen
wohin die roten blätter wehen
erbamungslos ihr glanz
so verrottet auch ihr letzter tanz
und weiß ich nicht wohin
bahnhof in der nacht
sag, wie laut schweigt dieses licht
sag, wie oft fährt diese bahn
und wieso finde ich dich nicht?
summt es denn lauter, summt es leiser
trunkenbold, sag bist du weiser?
singst von fernweh, singst von wärme
blendet mich denn nur mein herz
sag, was deutet diese liebe
find‘ ich weh, so find‘ ich heim
mein feuer in der ferne
© Amy Herzog
vielleicht
dieser bittere Nachgeschmack
legt deiner Sehnsucht vor dem schlafen
ein Stück Eifersucht auf’s Kissen
und du hasst es, mein Wort
und du liebst diese unstillbare Sucht
diese Wunden, dieses offen sein
machtlos gegen die Angst
über die du heißen Zucker gießt
ein Vielleicht schweigst du in deine Tiefe
vielleicht schmeckt diese Sehnsucht
nach Wahrheit, etwas Irrsinn und Leben
© Amy Herzog
nächstes mal
ausdruckslos wieder
ins fremde bett gesprungen
wollt mich nicht finden
nur verlieren
wieder
ich tue befreit
verschwinde unter asteria
dem vertrauten bild
das morgengrauen küsst
mich wach
beim nächsten mal, elpis
trocknet mein atem
so lass mich
(bedeutung) finden
© Amy Herzog
Hingabe
Betrachtest mich nicht von außen
schneidest mein Fleisch auf
weidest meine Organe
füllst mich mit Mandarinen aus
du trägst ein schlichtes Hemd
riechst nach moosbewachsenem Holz
und in Jahrzehnte gekommene Bitterkeit
dein Arschloch hält auf Abstand
hast du doch nur viel mehr Angst vor mir
als ich vor’m schwarzen Loch
Meine Seele schläft getränkt
Methanol und Formaldehyd im Glas
die Staubdecke wärmt
dieses entblößt fristende Dasein
in deinem Nachtschrank
Mit so viel Hingabe
hast du nicht gerechnet
Versprechen kommt nicht in die Jahre
mein Liebster, der Wahre
vielleicht nicht mein ganzes Leben
doch hast nur du mein Wahres gesehen
das niemand dir entreißt
betrachtest mich nicht von außen
der, der mein Herz verspeist
© Amy Herzog
Gefühle
Gefühle. Man kann sie nicht nicht wegwünschen, man kann sich auch nicht selbst belügen. Vielleicht kann man anderen sagen, es wäre nicht von Bedeutung. Und jedes Mal, wenn man das sagt, reißt man eine neue kleine Wunde auf. Sie sind da, einfach nur da. Folgen keiner Regel und keiner Logik. Nur ihrer eigenen. Sie ändern sich, passen sich an und man hat kein Mitspracherecht. Sie folgen sich selbst, ihrer Sehnsucht. Man kann nicht atmen, dieser kleine große Teil kann nicht atmen. Irgendwann kommt man an einen Punkt, da ist es okay. Man resigniert, gibt auf, nimmt hin. Man sieht ein, dass man sich nicht wehren kann. Und dann fühlt man halt. Es wirkt ruhig.
Kampf oder Flucht
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[ … ]
warten abwarten erwarten
hinwerfen werfen entfernen
neu Gestalt en . neu er finden
gelöscht löscht löschen
Bedeutung bleibt reibt treibt
vor jedem einschlafen
an der dünnen Seelenwand
zurück wird verweigert
[ … ]
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© Amy Herzog
alleine plus du
papierberge, leer
sie starren mich an
anstarren
ließt sich endlos
dieser abschiedsbrief
leben ist gedehnt
dehnbar, nur ein wenig
irgendwo sitzt
oder rennst du davon
in die nächste kleine leere
voll von lehren
ich will ausgelernt sein
ohne gefühl
ist die fallhöhe zu hoch
ich will ausgefüllt sein
zu viel abschied
schmeckt das leben
zu viel von mir
kreist wie feiner staub
um die welt
ich will liegen
zum erliegen kommen
gehen, stehen, atmen
leben be schreiben
alleine plus du
© Amy Herzog
Immun
Nichts als Honig auf deiner Zunge
– ich mag ihn nicht
und das warme Herz in meinem Tee
waren ein paar K.O. Tropfen
– Wirkung verfehlt
[bin gegen Süßholzraspel geimpft]
© Amy Herzog
löschen.weg

alles
einfach
löschen
gehweg zurück
bin zu offen aufgewacht
und wieder schreiben
geh . weg
eingeholtes wort
sinnlos um her getrieben
[weiß nicht wovon]
glaube nicht an zufall
schicksal kennt mich nicht
aber irgendwas ist
da hier da
[sag]
was ist schon
da bei
zu viel hier und jetzt
schlucke diese
un se re meine welt
unsichtbar bleiben
fertig leiden
weg
einfach
alles
löschen
© Amy Herzog
Adieu
So falsch, ich fremder Geist
und Seiltanz schweigt
schwappt hin und her und über
wie letzte Nacht ertrunken
(füge deine Nähe in mich ein)
wie den Abklatsch meiner Wunden
schließen diese Wellen
schlagend, zehrendes Gefäß
Dasein sucht den Sinn-
gemäß und frisst sich selbst
am stillen Grund
Adieu
© Amy Herzog
Heute will ich lügen
Heute aber ziehe ich die Lüge vor
denn mir gefällt die Sonne
und es tut nicht weh
sie auf meinem Lächeln zu spüren
und der warme Sommerwind
lässt mich schweben
schweigen, fließen und genießen
ja, heute will ich lügen
es tut nicht weh
© Amy Herzog
Still
Einsamkeit fällt
am Rande des Rahmens
in meinen Wahnsinn
und bezieht die Nacht neu
unbarmherzig infiltriertes Malignom
du liegst mir auf der Zunge
und wärmst
was abkühlen soll
blute dich
aus meinen dunklen Träumen
damit ich endlich
Badewasser schmecke
sehnsuchtsstill
© Amy Herzog
mein Winter
lebe im winter
haut wie pauspapier
mit deinen bildern auf mir
dein streichholz
zündet
den funken hoffnung
im innern
und verbrennt
mich zur kalten asche
im schnee
blutspur farblos
zwischenwelt schweigt
bis mein winter
schmilzt
tragen schneeflocken
dieses leid
© Amy Herzog
Wir sind nicht zu Ende
Heute habe ich unterschrieben. Vom Gefühl her war es vergleichbar mit dem unterschreiben beim Paketboten. Nicht etwa für ein Paket mit ersehntem Inhalt. Eher so, als wäre in dem Paket nur heiße Luft. Ja, so fühlte es sich heute an, dieses Dokument zu unterschreiben. Gleichzeitig so, als hätte ich einer Hinrichtung zugestimmt. Meiner Hinrichtung. Bereitwillig. Und dabei habe ich auch noch verkrampft gelächelt. Mit meinen Gedanken war ich bei dir, bin ich bei dir. Nur deshalb konnte ich heute lächeln. Mein Brief an dich beinhaltet das erste Mal keine Einleitung. Kein ‚Hallo‘, kein ‚Guten Abend‘, kein ‚mein Liebster‘. Das wäre…unpassend. Aber du weißt, was ich denke. Und ich weiß, was du denkst. Nur hat niemand etwas gesagt. War das der Fehler? Nun habe ich Schwarzwälderkirschtorte in meinen Zahnzwischenräumen. Er mag sie. Ich mag sie nicht. Du auch nicht. Bei uns würde es nun reichlich Met geben und dazu Bratwürstchen im stehen. Und – es wird dich überraschen – für dich hätte ich ein Kleid getragen. Mittelalter, klar oder? Ich mache mir Gedanken. Bin ich eine Betrügerin? Ich glaube nicht. Nicht für ihn. Hab ja keinen Sex. Und meine Gefühle sind ihm egal. Das ich dich liebe spielt keine Rolle. Und das, was uns verbindet, würde er in tausend Jahren nicht verstehen. Er ist ein Schwanzdenker. Du nicht. Du ganz und gar nicht. Ich hatte erwartet, dass es sich anders anfühlen würde. Jetzt, wo ich unterschrieben habe. Stattdessen denke ich an dich. Schreibe dir einen Brief. Ich denke, dass ich ihn auch liebe. Nicht, weil er so ist, wie er ist. Obwohl er so ist, wie er ist. Und ich schreibe dir nun auch kein Ende. Denn wir sind nicht zu Ende, werden wir nie sein. Dieses Dokument ist wertlos.
tanz
blutmond lichtet uns
trinke insomnia aus deinem glas
roter lippenstift erinnert
an den langsam sinkenden tanz
den gestohlenen kuss
an glanzweite kerzenaugen
und sanftes saugen an meinem hals
dein inneres betten von eingeatmetem duft
sommersonnenaufgang und regen
nieselt auf wachsende herzen
die sich in eine richtung bewegen
© Amy Herzog
Die unerfüllte Liebe
Dieses Stück*
es war mein erstes Mal
hat die Liebe in mir geboren
vor langer Zeit
erklärt
Noten zu steril
Worte immer viel zu viel
ich schmecke Farben
und fühle Glück
in allen Narben auf meiner Haut
die diese Liebe hinterlässt
jeder Ton malt tausend Bilder in meinen Gefäßen
sie treiben mein Blut, den Rhythmus
ergießen aus wunden Fingern
und wärmen mich durch meine Winter
wie ein Liebeskranker
seine Arme um mich schlingt
schmerzverzehrend
doch nur einen Kuss stiehlt
wieder und wieder
Wann immer sie mir fehlt
schreibe ich ihr
dieser unerfüllten Liebe
selbst wenn ihr kein Wort gerecht wird
schreibe ich ihr bis ins Ende
© Amy Herzog
*Beethoven’s für Elise
Explizit / Sex
Tristesse wartet
nach dem Abenteuer
mit einer Flasche
hochprozentigem Gefühl
damit es echt wirkt
und warm ums Herz
intensiv der Duft der Welt
solange sie passiert
wie eine Tafel Schokolade
Nur kein Duft der Welt
dringt so intensiv ein
[ganz explizit!]
Sex mit einem Menschen
dem man sein Leben
ganz und gar
nicht nur Haut und Haar
anvertraut
Gelegt in die Hände
eines überdauernden Vorspiels
in dem es kein ‚danach‘ gibt
wie eine Ewigkeit im Paradies
© Amy Herzog
komparse
ich bin klein
komparse
in der letzten reihe
rufe zwei mal täglich sehnsucht an
bleibe im wald allein
wie zersplitterter nagellack
an alten rinden kratzt
nur ein brief in schwarzer tinte
kann ihn nicht mehr lesen
grauer nebel
schläft auf meinem rücken
mückenstiche
bleiben mein gefühl
ich bin klein
gedichte brechen
während ich leichen lache
und wie ich wache
durch jede schwarze nacht
lacht sie mich aus
die sehnsucht
zwei mal täglich rufe ich dich an
beständigkeit ist dumm
habe ich gelernt
doch bin ich hier allein und stumm
kratze meinen lack noch ab
und kündige die rolle
in diesen stück
© Amy Herzog
Angst
In letzter Zeit bist abgelenkt von deinen Gedanken, versuchst sie zu verdrängen, dich in Kunst zu flüchten, in Musik und in deine Arbeit, eine klare Sicht behalten ist die Hauptsache, sagst du dir immer wieder, willst stark sein, dein Kopf sieht das anders, sieht in deiner Hauptsache nur noch eine unbedeutende Nebensache. Deine Bemühungen nur, um dich am Ende wieder in diesen Gedanken zu verlieren, welche dir jeden Tag, den ganzen Tag im Hinterkopf klemmen, fast wie ein Parasit. Diese Gedankenöffnung voll Lust und Tiefe, aber dann diese Gedanken, die du nie wieder fühlen wolltest, weil sie dir einmal zu viel beinahe das Leben gekostet hätten. Du hast Angst, du bist erwachsen, aber du fühlst dich wie ein Kind, das niemand sieht, bist allein mit diesen Gedanken, der Angst. Nein, sagst du dir immer wieder, NEIN! Jetzt wird gearbeitet. Und heute Abend trinkst du dich in den Schlaf und hoffst, in deinen Träumen nicht zu denken, nicht zu fühlen. Hoffst, dort die Angst nicht zu verlieren, die Erde unter deinen Füßen, die dir, wenn du wach bist, sowohl das Leben rettet, als auch nimmt. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Es ist zwar kein Drabble (das hatte ich bereits geschrieben), trotzdem sind dort die aktuellen drei Worte von Lyrix untergebracht 🙂 Nur so aus Spaß an der Freud.
nur ein Spiel
Geöffnete Arterien
multiplizieren sich für eine Nacht
spielen große Gefühle
spielen Schach bis Remis
spielen Russisch Roulette
spielen Poker
malen nach Zahlen
und warten auf die Rechnung
während der Pinsel Muttermale verbindet
Gerinnt der nächste Morgen
und verschwitzte Wände schmecken kalt
so will ich blutleer sein
weil ich zu hoch verloren hab
Vernähe doch nur kurz die blauen Lippen
mit geliehenen Sekunden
und spiele ein letztes großes Spiel
mit meinen Wunden
bis im letzten Blick ein Schmerz gewinnt
© Amy Herzog
ewige Nächte
kippe Benzodiazepine auf mein Bauchgefühl
bis mein Kopf in den Seilen hängt
sehe rosige Wangen und tropfenden Mond
es duftet nach zeitlosen Laken, Staub und Hunger
der mich durch ewige Nächte gleiten kann
und ich traue mich nicht zu fragen
ob die Ewigkeit ein Ende kennt
denn wohin mich auch die Seile tragen
ernährt mich dieser Mond in jedem Kuss
© Amy Herzog
albtraum
Sehnsucht malt in die Nacht
– du albtrügerisches Zaubermärchen
im luftleeren Raum
und für den Moment halte ich den Atem an
wünschte, ich könnte es ewig
doch erwache ich dem Traum und trauere darum
wie Angst in mir tanzt
(und mein Skelett pulverisiert)
mich beinahe selbst verloren zu haben
liegt im Ende erst der gnadenlose Anfang
wenn Verzweiflung ein neues Bild
mit einem Blick
aus Nachtsternen formt
© Amy Herzog
die vergessene Blume
Die Erde unter meinen Füßen
duftet nach Regen und eben diesem Frühling
der nur weiche Brotkrumen hinterlässt
und lässt die Schweigepflicht auch Poren
öffnen ist die eine Blume doch verloren
wenn sie als einzige blüht
So welkt sie trotz des vielen Regens
und verliert das kleine Glück des Lebens
ich doch nur ein Weg zurück
verspreche mir doch weiter geradeaus
und breche dieses nicht
die kleine Blume längst vergessen
trinke ich von deinem wortsanften Regen
auch dann nicht, wenn er mich
mit weichen Lippen küsst
© Amy Herzog
Verliebt.
Als ich mich in dich verliebt habe, wusste ich, dass es ein Fehler war. Aber…es war so die Art Strömung, die sich nicht aufhalten ließ. Ich konnte mich nur treiben lassen und warten, bis ich irgendwo strande und hoffen, dass dieser Tag niemals kommen würde. Denn selbst wenn wir nur da saßen, Pizza aßen und die Nächte schweigend miteinander verbrachten, hatte ich das Gefühl, dass ich atme. Es war so leicht. So leicht mit dir. Ich brauchte dir nicht zu sagen, dass ich mich in dich verliebt habe. Du hast es für mich laut ausgesprochen. Und das ich dich in diesem Moment nicht anschauen konnte, war die deutlichste Bestätigung, die ich aufbringen konnte. In dieser Sekunde blieb mein Herz für einen Moment stehen. Es war so erleichternd. Befreiend. Und während ich weiter trieb, sagtest du nichts. Wie nahe Hass und Liebe beieinander liegen, die Verzweiflung, das Leid, den Ekel vor dir, vor mir und nach jedem Mal dieses bittersüße, gottverdammte Bereuen und all diese weiteren unmöglich zählbaren weiteren Gefühle, die diese Strömung nach und nach mit sich riss, hast du mir gezeigt. Aber irgendwann wurde mir kalt, in irgendeiner Nacht lag ich neben dir und spürte, wie sich mein nasser Körper von Wind überzogen mit Sand verklebte. Land. Dieses Land, das ich nicht auf meiner Haut spüren wollte. Endlich Land. Die Nacht würde vorbeigehen und mein Körper trocknen mit den ersten Sonnenstrahlen des Morgens. Das wusste ich, daran hielt ich mich fest, während ich meine Hände von deiner Brust nahm. Und als du dich in mich verliebt hast, wusstest du, dass es ein tragisches Ende war. Ich glaubte, dass du es wusstest. Laut ausgesprochen habe ich es nie.
Jäger
Der Hahn kräht nicht
und ich verschlafe das Leben
was könnt’s mir auch schon geben
nur den Jäger in meiner Brust
mit gespanntem Bogen
sobald ich die Augen öffne
weil ich ein Märchen ersehne
während ich im Traum
Wunde um Wunde vernähe
mein Herz, der Hahn
ich jage ihn mit eigenem Wahn
und warte noch auf Leben
© Amy Herzog
Realität / Traum
Kurz Realität
Gardinen aufziehen
und Fakten reinlassen
die Oberflächlichkeit
brennt mir die Augenbrauen
schmeckt abgestumpft
und hinterlässt Laufmaschen
auf meiner Zunge
Ziehe die Gardinen wieder zu
und putze Träume der letzten Wochen
von haarig-gewordenen Zähnen
das Fell allein spendet keine Wärme
__________________________________________
Der Traum schmeckte
nach Kokosnuss am Strand
und nach Sand zwischen den Zehen
wie endlose Zeit auf einer Decke
am Rand des Wassers
Und nach süßer Melancholie
zu jedem Nachtisch
weil ein Leben am Ende zu kurz ist
© Amy Herzog
bitter
fresse stundenlang lavendelseife
um schmutzbehaftete gefühle zu bereinigen
sie moussiert in blutenden wangen
weil sich meine worte
am morschen larynx verfangen
– seife nutzlos
doch brennendes fleisch
stopft jedes loch mit erbärmlicher galle
wie die gans an weihnachten
der vorgetäuschten liebe
doch nur ein geschlachtetes wesen
so wie ich angestarrt werde
wenn ich dir mit bittersüßen tränen
dein tägliches fest verderbe
© Amy Herzog
Ein letzter Kuss
bei der Obduktion
findet sich vielleicht noch ein wenig Herz
das sich zu spenden lohnt
und Haut
für neue Narben
überall wieder neue Narben
die blauen Augen möchte niemand haben
sie haben zu viel gesehen
und während ich im Wartezimmer darauf wette
nur um mich selbst zu verlieren
verrottet im Sarg etwas
woran ich mich festhalten muss
und hätte ich noch einen letzten Atemzug frei
würde ich dich küssen
© Amy Herzog
Ende
Der Dolch
inmitten meiner Brust
ist unvermeidlich
Dem elendigen Schmerz
so tief wie der Marianengraben
stopft er das Maul
gesellt dich zu den Geistern
die mir meine wunde Seele rauben
Endlich kann ich glauben
unsere letzte Nacht
fand Ende
ich schließe sie mit einer Brosche
und vernähe die blutende Geschichte
mit deinen Wimpern
© Amy Herzog
Phantomschmerz
Herzamputiert
mit Giftmüll verbrannt
der Rest ist Phantomschmerz
kotze den Rotz verschlissener Liebe
lausche dem Klang deiner Zufriedenheit
schlucke überdosierte Illusionen
und stanze mir das Lächeln
das du dir wünscht
ins kalte Gesicht
© Amy Herzog
seelen
zwei seelen
die sich vor hunderten
jahren
verloren haben
tanzen
allein
verloren, verirrt
verwirrt
worte und stimmen
gehörlos
im eigenen nebel
zeit erklimmen
finden
rasten, lieben
im körper eingesperrt
geblieben
tanzen
allein
schweben
irgendwann leben
im sterben
halten
fallen lassen
seelenfäden verblassen
werden eins
und frei
© Amy Herzog
Albtraum
Seeleneiter fließt aus meinen Poren
du garnierst mit Lilien und Salz
und schlingst ohne Luft zu holen
die Fleischeslust aus deinem warmen Schoß
in die zwielichtigen Ecken deiner Haut
es graut mir, zittert, flimmert
tief durch die Äste meines Lebens
und winselt, wimmert dir ein Lächeln ins Ohr
trinkst es, wie den ersten Regentropfen
nach einer verbrannten Nacht
bleibt mir dies ein Albtraum
schwitzend, dreht und wendet
doch bin ich nicht mehr aufgewacht
© Amy Herzog
unkraut
buchstabenunkraut
stöbert auf dem flohmarkt
zwischen ramsch
nach dem besonderen
und ich kann dich sehen
wo du dich selbst nicht sehen kannst
dein lächeln, das du dir nach all den jahren glaubst
ich glaube es dir nicht
wäre ich nicht bettelarm
so würde ich dich mit nach hause nehmen
doch bin ich unwissend
ob unkraut genügt
© Amy Herzog
– ein paar Tausend Tode gestorben
die Gleichgültigkeit
schmeckt nach vortäuschen einer Straftat
(es hat sich niemand notiert)
– einer ist mir geblieben
und verschweigt die Wahrheit
aber sie duftet nach freudestrahlendem Sprung
aus Vierzigtausend Fuß
ohne Fallschirm
© Amy Herzog
Wenn gestern morgen ist…
Manchmal, wenn ich dran denke,
aber nur wenn auch eine Träne
in die Wunde fließt,
kommt’s mir vor, als wäre es erst gestern gewesen
und wünsche mir dann,
es wäre doch das gestern von morgen
Aber sag mal, sagst du Bescheid,
wenn es soweit ist, wenn es morgen ist?
Denn heute lebe ich nicht.
Sind alle meine Figuren schon tot
und ich sehe nur den Staub.
Und.
Ich ersehne.
Dich. Und.
Dein Wort.
(das weiß nur ich)
© Amy Herzog
Furcht bleibt
tränen verschweißen meine augen
starre in verschwommenes
schreibe in fingerspuren auf sandpapier
glattgeschmirgeltes gedankengut
albträume räumen die nacht
und lassen die leiche spurlos verschwindenich denke an nichts, nichts, nichts..
aber wenn ich wieder klar sehe
atme ich tiefblutentkleidete furcht
in deine kalte richtung
(furcht sitzt da, wo das herz verblutete)
- der platz war noch warm
© Amy Herzog
Handwerkskunst
Handwerkskunst
nicht die Fassung zu verlieren
hübsch der Stuck
am Ende
wie eine zauberhafte Lüge
ist mein Hirn verziert
nähe mir etwas Spitze an die Zunge
damit Worte nicht fallen
wie die Asche meiner Zigarette
bestaune eine Weile
mein Kunstwerk
schweige und zünde es an
mit meinem letzten Streichholz
verliere ich wohlerzogen
meinen Verstand
© Amy Herzog
ich bin nicht mehr
Stehe unter Scheinwerfern
auf einer Bühne
so gigantisch
dass mich niemand sehen kann
ohrenbetäubende Schreie
übertönen meine greifende Hand
die Seelenstücke
ziehen gebrochen an Gondeln vorbei
ins Schlachthaus
Dieser tief verankerte
täglich neue Wurzeln schlagende
mit Spinnweben fixierte
Harz tropfende
im Mondlicht schimmernde
stumm vibrierende
zerfressende
alles umgebende
In der Kälte
tropft es im Rhythmus
meines verschollenen Herzens
auf nassen Beton
aber ich bin nicht mehr
nicht mal mehr Geschichte
© Amy Herzog
Schaumbad
Meine Bleiatmung zeichnet Schatten
in bodenlose Schlaglöcher
schnappt an scharfen Kanten
nach Zärtlichkeit
blutet aus meinen Fingern
doch nur die Last aus meinem Herzen
unter Verschluss
den Schlüssel in die Flut
hinter den Fenstern meiner Seele
bleibt es schwarz
es duftet nach unberührtem Schnee
nach Ruhe und Sicherheit
wie Illusion nach rosa Zuckerwatte
vom Valentinstagsrummelplatz schmeckt
Hitze steigt aus meinem Aderlass
in prickelnden Regenbogenblubberblasen
und ein Platz ist noch frei
steig dazu, solange mein Bad noch warm ist
und der Schaum mein Wort bedeckt
bis ich in der fernen Endlichkeit koaguliere
© Amy Herzog


